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Gesundheitsforschung. Perspektiven der Sozialwissenschaften

15.06.2013, 11:47 - 12:47
Universität Freiburg, Miséricorde, Auditorium A,
SAGW

Zur Einführung

Gerade wegen seiner Leistungsfähigkeit stösst das hochentwickelte, medizinische Versorgungssystem der Schweiz nicht nur an finanzielle und personelle Grenzen: Gemessen am Gewinn von funktionaler Lebensqualität und Lebensglück ist längst nicht jede mögliche medizinische Intervention sinnvoll und wünschbar. Auch aufgrund der gestiegenen Lebenserwartungen nimmt die Zahl der Personen zu, die trotz gesundheitlichen Einschränkungen ein selbstbestimmtes Leben führen wollen. Schliesslich benötigt die zunehmende Zahl von Betroffenen von Multimorbidität neue Behandlungskonzepte und -strategien, da die Kombination von auf Heilung angelegter medizinischer Guidelines einzelner Erkrankungen sich paradoxerweise negativ auf die Gesundheit auswirken und nur die Berücksichtigung der individuellen Lebensqualität die Stabilisierung von Gesundheit ermöglicht.

Sozialwissenschaftliche Ansätze und Methoden sind in hohem Masse geeignet, einen Beitrag zur Bewältigung dieser Problemlagen und Herausforderungen zu leisten. Im Anschluss an den Bericht „Gesundheitsforschung Schweiz – Thematische Schwerpunkte, institutionelle Verankerung“ (SAGW 2012) und mit dem Ziel, einen langfristig wirksamen, für die Praxis relevanten Beitrag zur Stärkung der sozialwissenschaftlichen Gesundheitsforschung zu leisten, will die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften zukunftsweisende Konzepte, Methoden und Perspektiven der Gesundheitsforschung zur Diskussion stellen. Als wegweisend erachten wir dabei die Konzepte der Vulnerabilität, der Resilienz und der Lebensqualität sowie deren Stabilisierung im Lebensverlauf. Gemeinsam ist ihnen ein dynamisches Verständnis von Gesundheit.

Ausgehend von den Konzepten der Vulnerabilität und Resilienz fragen wir erstens nach den Bedingungen sowie den sozialen und individuellen Ressourcen, die in unterschiedlichen Lebenslagen und Lebensbereichen Gesundheit fördern oder erhalten. Dabei gilt die Aufmerksamkeit nicht allein den Auswirkungen kumulierter Nachteile und kritischen Ereignissen im Lebensverlauf auf die Gesundheit. Vielmehr soll der Frage nachgegangen werden, welche individuellen und kollektiven Ressourcen sowie allfällige Massnahmen es Menschen erlauben, Gesundheit auch in schwierigen Lebenslagen bzw. unter erschwerten Lebensbedingungen zu erhalten.

Zweitens sollen die Implikationen und Perspektiven einer Gesundheitsforschung zur Diskussion gestellt werden, die im Sinne einer offenen und weiter zu entwickelnden Arbeitsdefinition den gesunden Menschen in seinem Alltag ins Zentrum rückt. Mitbedacht werden dabei Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die indes in der Lage sind, ein eigenständiges Leben zu führen und ihren Alltag zu gestalten. Da sich die Gesundheitsforschung bisher vorwiegend mit dem kranken Menschen und dessen Therapie sowie Rehabilitation befasste, sind die Bedingungen und Faktoren, die Gesundheit und Lebensqualität ermöglichen oder stabilisieren, vergleichsweise wenig erforscht. Methodisch anspruchsvoll ist unter anderem mehr, dass der Mehrdimensionalität und Individualität von Gesundheit Rechnung getragen werden muss. Forschungsgegenstand sind nicht länger eine durch eine spezifische Krankheit ausgezeichnete Gruppe im klinischen Kontext, sondern Individuen in ihren unterschiedlichen Lebenskontexten. Ferner sind klassische empirische Evaluationsverfahren darauf angewiesen, Veränderungen zu messen, um beispielsweise die Wirksamkeit einer Therapie oder anderweitigen Intervention nachzuweisen. Die Wirksamkeit von Gesundheits- und Lebensqualitätsinterventionen, die auf Stabilisierung abzielen, lässt sich per definitionem nicht an den erfolgten Veränderungen von Einzelindikatoren messen und erfordert die Entwicklung neuartiger Evidenzstandards und längsschnittlicher Evaluationsdesigns.

 

Zur Struktur

Im ersten Teil der Tagung werden Konzepte zur Diskussion gestellt, denen ein dynamisches Verständnis von Gesundheit zu Grunde liegt und damit geeignet sind, die Aufmerksamkeit auf den Erhalt sowie die Stabilisierung der Gesundheit, die Alltagsbewältigung und die Lebensqualität zu lenken. Deren Tragweite wie Implikationen für Forschung und Lehre soll aufgezeigt werden. Gefragt wird, ob und inwiefern diese Ansätze neue, bisher wenig bearbeitete, zukunftsweisende Forschungsfelder erschliesst. Ebenso werden die damit einhergehenden methodischen Herausforderungen thematisiert.

In einem zweiten Teil wird deren Anwendung auf zentrale Lebensbereiche ausgelotet. Ausgehend vom Forschungsstand steht die Frage im Zentrum, welche neuen Forschungsthemen Konzepte wie Lebensqualität, Resilienz, Stabilisierung, selbständige Lebensführung und Alltagsgestaltung erschliessen. Ebenso werden die damit einhergehenden methodischen Herausforderungen zur Diskussion gestellt. Schliesslich wird nach möglichen Förderformaten gefragt sowie nach Instrumenten, welche eine Vernetzung der interessierten Forschenden ermöglichen.

Ziele

Mit der Tagung wollen wir die nachfolgenden Zielsetzungen einlösen:

  • Den spezifischen und innovativen Beitrag der Sozialwissenschaften im Bereich der Gesundheitsforschung aufzeigen;
  • Präsentation und Diskussion zentraler Konzepte einer dynamischen an der Lebensqualität und Alltagsbewältigung orientierten Gesundheitsforschung; deren Tragweite und Implikationen sowie die damit einhergehenden, methodischen Herausforderungen sollen aufgezeigt werden;
  • Erschliessung von neuen, bisher wenig bearbeiteten, zukunftsweisenden Themenfeldern;
  • Impulse für eine der Schwerpunktbildung sowie Kompetenzverdichtung dienenden Forschungsagenda;
  • Vernetzung der über zahlreiche Disziplinen und Institutionen verteilten Akteuren;
  • Einen Beitrag zur institutionellen Verankerung der sozialwissenschaftlichen Gesundheitsforschung leisten.

Vorbereitungsgruppe

Claudine Burton-Jeangros (Universität Genf), Céline Schmid-Botkine (FORS), Peter Farago (FORS), Dominique Joye (Universität Lausanne), Mike Martin (Universität Zürich), Julie Page (ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaft), Martine Stoffel (SAGW, Bern), Markus Zürcher (SAGW, Bern)

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