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Innovation muss nicht technisch sein

Dr. Heinz Nauer, SAGW, Redaktor
Pertinence sociale Gesellschaftliche Relevanz

Als Treiber für Innovation, Fortschritt und Wirtschaftswachstum gelten meist technische Entwicklungen. Dabei gibt es auch soziale Innovation. Mit durchaus grosser Wirkung.

Ein Psychiater in Harare leidet darunter, dass die grosse Mehrheit der Bevölkerung Simbabwes keinen Zugang zu psychiatrischen Dienstleistungen hat. 2006 gründet er deshalb das Programm «Friendship Bench»: Er und sein Team bilden Hunderte von Grossmüttern zu Therapeutinnen aus, die kostenlose Gesprächstherapiesitzungen anbieten. Der Erfolg des Programms ist enorm: Sogenannte «Freundschaftsbänke» stehen mittlerweile auch in Malawi, den USA oder Kanada.

Ist das Innovation?

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In Bern stören sich zwei junge Männer am verschwenderischen Umgang mit Konsumgütern. Die Menschen sollten Dinge nicht achtlos wegwerfen, sondern gratis weitergeben, denken sie sich. 2017 gründeten sie die Plattform nimms.ch. Sie soll helfen, dass Angebot und Nachfrage von gebrauchten Gegenständen besser zueinanderfinden.

Ist das Innovation?

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Eine Projekt-Community in der französischen Industriestadt Colombes experimentiert unter dem Stichwort «urban resilience» mit nachhaltigen Lebensstilen. Sie legt Gärten an, betreibt Mikro-Landwirtschaft, bietet günstigen Wohnraum.

Ist das Innovation?

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Soziale und technologische Innovation

Das Feld dessen, was man gemeinhin unter «Sozialer Innovation» fasst, ist breit. Es beinhaltet vielfältige Formen von sozialen Praktiken und Kooperationen, mit denen Gesellschaften rund um den Globus den grossen Herausforderungen der Zeit entgegentreten: Viele dieser Initiativen setzen sich einen nachhaltigeren Konsum zum Ziel, andere möchten in der Zivilgesellschaft vorhandene Kompetenzen nutzen und vernetzen. Im deutschen Sprachraum werden Soziale Innovationen – eigentlich eine etwas missverständliche wörtliche Übersetzung des englischen Begriffs «social innovations» – spätestens seit den 1970er Jahren diskutiert. Im allgemeinen Diskurs über Innovation und insbesondere in der Forschungsförderpolitik blieben sie freilich eine Randerscheinung. Wer nach mehr Innovation ruft, meint in aller Regel nicht soziale, sondern technologische Innovation. So sprach beispielsweise der ehemalige Schweizer Wirtschafts- und Bildungsminister Johann Schneider-Ammann («Bei der Innovation sind wir Weltspitze») zwar gerne und viel von Innovation, dachte dabei aber an die Forschung an den Technischen Hochschulen, an digitale Technologien, an Produkte, Patente und Wirtschaftswachstum und eher nicht an Know-how aus den Geistes- und Sozialwissenschaften, nicht an nachhaltigen Konsum und nicht an neue Formen kooperativen Wirtschaftens.

Uneingelöste Versprechen

Dieses Verständnis von Innovation als Teil einer theoretischen Kausalkette bestehend aus Wissenschaft, Innovation und Wirtschaftswachstum hat seine Wurzeln im sogenannt «goldenen Zeitalter der Innovation» zwischen etwa 1920 und 1960. Seither trat der Innovationsbegriff rhetorisch zunehmend an die Stelle des Fortschrittsbegriffs und ist in der Förderpolitik zu einer Art Beschwörungsformel geworden, eine Formel, die ihre grossen Versprechungen indes häufig nicht einlösen kann. Der Schweizer Historiker Caspar Hirschi merkte dazu in einem Aufsatz kritisch an: «Abgesehen von der Kommunikationsindustrie leben wir im Zeitalter der grossen Versprechungen und kleinen Verbesserungen.» Unser Alltag beruhe nach wie vor auf Einrichtungen, die mittlerweile 50 bis 150 Jahre alt sind. Die engführende Konzentration auf Innovation stehe echter Innovation geradezu im Weg, so Hirschi. Denn das ist die Krux mit der Innovation: Wo sie entsteht, lässt sich nicht voraussagen, da sie sich nicht vom Bestehenden ableiten lässt.

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Lesen Sie zum Thema «Soziale Innovation» das Dossier des soeben erschienenen SAGW-Bulletins. 12 Texte von Autoren aus den Geistes- und Sozialwissenschaften liefern einen vielstimmigen Beitrag zur Debatte.