Blog

Kooperation statt Wettbewerb

Dr. Marlene Iseli, SAGW, Thema Wissenschaftssystem

In der Wissenschaft zählt Exzellenz. Doch obwohl die Teams an Hochschulen international zusammengesetzt sind, gibt es immer mal wieder Ranglisten, die an geographische Grenzen gebundenen sind. Ein Fokus auf die Kooperation wäre sinnvoller.

Ist die Schweizer Fussballmannschaft schweizerisch genug? Darf man als Schweizer Bürger stolz sein darauf, dass die Schweiz im neu erfundenen Unterhaltungsprogramm der UEFA «Nations League» unter den vier besten Ländern weilt? Oder nur dann, wenn die Spieler von der Nachwuchsförderung des Schweizerischen Fussballverbands profitieren durften? Wie viel Migrationshintergrund liegt drin, um die Identifikation mit der eigenen Nationalmannschaft zu sichern? Und inwiefern spielt dabei die Heterogenität der Herkunftsländer eine Rolle? Solche (insgesamt befremdende) Fragen stellen sich in den Wissenschaften so wenig wie in der Champions-League, bei der Landesgrenzen und nationale Ranglisten keine Rolle spielen. Hier zählt lediglich die Exzellenz...

«Switzerland: 12 points»!

Interessanterweise finden wir in der Wissenschaftsadministration dennoch immer mal wieder Ranglisten, die an geographische Grenzen gebundenen sind. Zuweilen ist es ganz unterhaltsam, mittels Ländervergleiche zu eruieren, wie z.B. der Forschungsplatz Schweiz in Sachen Produktivität, Drittmittelakquise, Patentanmeldungen und so weiter abschneidet. Damit einher geht oft eine Bilanzierung der internationalen Ausstrahlung und Sichtbarkeit, der internationalen Kooperation sowie des Erfolgs im Wettbewerb um Fördergelder der EU. Hier wird deutlich: Es handelt sich um ein hochschulpolitisches Monitoring, das eine nationale Governance im Blick hat. Und wo gesteuert (und investiert) wird, wird auch evaluiert. Und umgekehrt.

Internationale Wissenschaften – ein Pleonasmus!?

Dennoch stehen solch nationale Ranglisten irgendwie schief da im Wissen um eine akademische Praxis, bei der die Nationalität ihrer Akteure als irrelevant betrachtet wird. Es ist allgemein bekannt, dass schon nur das Personal des Schweizer Hochschulsystems höchst international aufgestellt ist. Caspar Hirschi spricht in einem seiner Artikel von einer «eingeübten wissenschaftspolitischen Praxis: jener des brain gain durch Forscher-Import». Auch ein Blick auf den jüngsten Blog-Eintrag zum Repertorium Academicum Germanicum zeigt, dass sich internationale akademische Netzwerke bereits im Mittelalter bildeten.

«Nicht alles, was zählt, ist zählbar, und nicht alles, was zählbar ist, zählt» (Albert Einstein)

Problematisch werden solche Statistiken dann, wenn unter Berücksichtigung weniger quantifizierbarer Indikatoren suggeriert wird, dass die wissenschaftliche Leistung allgemein und die internationale Aufstellung im Spezifischen objektiv vermessen werden kann und direkte Rückschlüsse auf die Qualität der Forschung (und nur der Forschung, obwohl weitere Leistungsdimensionen ebenso valorisiert werden sollten) zulässig sind. Selbstverständlich wird eine solch kurzgreifende Interpretation auch erst durch eine übereifrige Leserschaft alimentiert.

Kooperation über Landesgrenzen und über andere Grenzen hinaus

Woher kommt aber dieser Ruf nach Internationalisierung? Und welche Versprechen sollen damit eingelöst werden? Im Bericht «Internationale Kooperation und Vernetzung in den Geisteswissenschaften» der SAGW wird aufgezeigt, dass das Augenmerk vielmehr auf grenzüberschreitende Kooperationen im allgemeinen Sinn gelegt werden müsste, seien sie geografischer, disziplinärer oder institutioneller Natur. Mittels einer explorativen Studie im erweiterten Umfeld der SAGW wurde der Versuch unternommen, die filigranen Netzwerke und vielschichtigen Kooperationsformen der Geistes- (und Sozial-)Wissenschaften über diese Grenzen hinaus wie auch deren Bedeutung zu erfassen. Deutlich wird, dass Internationalität ein relatives und von anderen Gesichtspunkten abhängiges Gütekriterium ist und damit nur eines von mehreren kontextabhängigen Kriterien darstellt, die letztlich die Qualität der Forschung beurteilen lassen. Wie sich die Prozesse der Wissensgenese zwischen verschiedenen Akteuren ausgestalten, ist wohl nur durch qualitative Forschungsansätze zu rekonstruieren.

Antworten auf die Frage, wie durch sinnvolle Kooperationen Grenzen aufgelöst werden, dürften eine ebenso wichtige Zieldimension darstellen wie die Internationalisierung der Wissenschaften selber. Denn anders als im Fussballbusiness sollte es in einem modernen Wissenschaftsbetrieb immer mehr um Zusammenarbeit, gegenseitige Kenntnisnahme, Überblickbarkeit und einen stimulierenden Austausch gehen als um Wettbewerb, Konkurrenz und Kräftemessen.

Neu erschienen

Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (2019): «Internationale Kooperation und Vernetzung in den Geisteswissenschaften. Swiss Academies Report 14 (3). https://doi.org/10.5281/zenodo.2537674

Weitere Quellen

Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (2018): Zur Diskussion: Qualität vor Quantität. Swiss Academies Communication 13 (5).
Link: https://doi.org/10.5281/zenodo.1409674

Caspar Hirschi (2010): Bilaterale Internationalität. Die Schweiz im Lichte von Ben-Davids 'Wissenschaft in einem kleinen Land'. In: Nach Feierabend. Zürcher Jahrbuch für Wissensgeschichte (2010), Nr. 6, 191-215.
https://www.alexandria.unisg.ch/214701/1/Hirschi__PDF_des_Aufsatzes_Bilaterale_Internationalit%C3%A4t.pdf