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Senior Lab: Innovation im Alter

Heinz Nauer, SAGW

Das Senior Lab in Lausanne entwickelt Services und Produkte nicht nur für, sondern mit Seniorinnen und Senioren.

Rund 1.5 Millionen Seniorinnen und Senioren leben heute in der Schweiz (Stand 2015) und der Altersquotient in der Gesellschaft steigt weiter an: Im Jahr 2045, so die Prognose des Bundesamtes für Statistik, kommt auf zwei Personen zwischen 20 und 64 Jahren, eine Person von über 65 Jahren. Die demografische Alterung erfordert Veränderungen und neue Massnahmen; nicht nur im Gesundheitswesen und im Sozialsystem, sondern in eigentlich allen Lebensbereichen: in der Mobilität, im Arbeitsmarkt, beim Wohnen – und nicht zuletzt in der Ökonomie. Längst haben Firmen die Marktpotenziale erkannt, die im demografischen Wandel liegen. Man spricht von einer «Silver Economy». Private und öffentliche Akteure entwickeln seit jeher zahllose Produkte und Dienstleistungen für ältere Menschen, befassten sich lange Zeit aber wenig mit den konkreten Bedürfnissen und Wünschen ihrer Zielgruppe (vgl. Davenport, Mann & Lutz, 2012).

Expertise von ungewohnter Seite

In den letzten Jahren wurden verschiedene Projekte lanciert, welche einen partizipativen Ansatz verfolgen und Objekte, Produkte, Services und Massnahmen nicht nur für Seniorinnen und Senioren entwickeln, sondern mit ihnen. Ein solches Projekt ist das Senior Lab in Lausanne, das 2018 von drei Waadtländer Hochschulen gegründet wurde.[1] Im Rahmen einer Veranstaltungsreihe der SAGW zu den Sustainable Development Goals stellten am 20. Juni Delphine Roulet-Schwab, Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Gerontologie und Professorin am Institut et Haute Ecole de La Santé la Source, und David Campisi, Leiter des Projekts Recherche appliquée & Développement an der Haute Ecole d’Ingénierie et de Gestion du Canton de Vaud, das Senior Lab im Haus der Akademien in Bern vor.[2]
Das Senior Lab verfolgt partizipative und interdisziplinäre Zugänge. Es beteiligt Seniorinnen und Senioren als Experten in der Entwicklung von Innovationen, die zur Lebensqualität beitragen sollen, und bringt Spezialisten aus verschiedenen Forschungsdisziplinen zusammen: aus den Gesundheitswissenschaften, der Ökonomie, der Ingenieurwissenschaften und dem Design. Partizipation, Innovation, Interdisziplinarität: Das sind grosse Worte, die an strategische und nicht immer gehaltene Versprechen in wissenschaftlichen Projektanträgen erinnern; «akademische Supersubstantive» nennt sie der Luzerner Historiker Valentin Groebner in einem Buch zur Wissenschaftssprache.

Konkrete Lösungen

Im Senior Lab bleibt es indes nicht bei der Rhetorik, wie ein Blick in die auf der Website aufgelisteten Projekte zeigt. Ein wichtiger Bereich, den das Lab bearbeitet, ist zum Beispiel die Mobilität. Für die Migros entwickelte man im Rahmen eines Living Lab-Projekts wie man für Menschen mit eingeschränkter Mobilität das Einkaufen erleichtern kann. Für den öffentlichen Verkehr in Lausanne entwickelte das Lab über 40 konkrete Vorschläge, wie auch alte Menschen weiterhin den Bus oder die Metro benutzen können. Konkret: Es geht um Dinge wie Fahrpläne, Sitzgelegenheiten und Signaletik. Das klinge alles ganz einfach, sei in der Implementation aber kompliziert, sagten Campisi und Roulet-Schwab. Wichtig seien sogenannt «inklusive Lösungen», welche die Betroffenen nicht als homogene Gruppe behandeln, sondern als Individuen mit ganz unterschiedlichen Vorlieben, Lebensläufen und Fragilitäten. So würde letztlich die ganze Gesellschaft profitieren und es entstehe eine Win-win-Situation.

Bedürfnis und Bedarf

Den Laien überzeugen nicht zuletzt der hohe Stellenwert des Designs in der Arbeit des Senior Labs: im Entwicklungsprozess (Design Thinking) und in der Ausführung. Die «Begehrtheit» («désirabilité», so das schöne französische Wort dafür) eines Produkts sei entscheidend dafür, ob seine Implementierung gelinge oder nicht, sagte Campisi. Gerold Stucki, Professor für Health Sciences an der Universität Luzern, machte in der Diskussion in diesem Zusammenhang auf das Spannungsverhältnis zwischen Bedürfnis und Bedarf aufmerksam. Beispielsweise gebe es aus Sicht der Prävention zweifellos einen Bedarf an Gehhilfen, doch entsprechen diese auch einem Bedürfnis der Senioren? Ist der liebgewonnene Spazierstock nicht bequemer, ästhetischer und kulturell positiver konnotiert als der sperrige Rollator? 

[1] L'Institut et Haute Ecole de La Santé la Source, La Haute Ecole d'Ingénierie et de Gestion du Canton de Vaud, L'Ecole cantonale d'art de Lausanne.
[2] Die Präsentation trug den Titel «Senior Lab – Co-créer des solutions innovantes avec et pour les seniors». Die PowerPoint-Präsentation finden Sie hier.