News

Fokus: Wissenschaftskultur in Bewegung

Heinz Nauer

«Dies ist eine Geschichte anhaltender Exzellenz», erzählt uns ein Schweizer Uhrenhersteller bei Tennisturnieren jeweils im Fernsehen, während Roger Federer irgendwo auf der Welt über einen Tenniscourt schwebt. In der akademischen Welt hingegen gerät das traditionelle Verständnis von Exzellenz mitunter ins Abseits. Verschiedene Akteure, vorwiegend aus den nachrückenden Generationen, forderten in den letzten Monaten mit Nachdruck eine andere Geschichte und eine neue Kultur in der Wissenschaft. Nachhaltig und offen soll sie sein, Hierarchien flach halten, Quantitäten reduzieren und sich Zeit nehmen für Reflexion.

Hier eine selektive Auswahl von einigen neueren Initiativen aus der Schweiz (in chronologisch absteigender Reihenfolge):

  • Im Oktober publizierte das Netzwerk für transdisziplinäre Forschung (td-net) zusammen mit Akademien der Wissenschaften das Positionspapier «Forschung für gesellschaftliche Innovationen an Fachhochschulen». Das Papier ist ein Plädoyer für transdisziplinäre Forschung und fordert unter anderem einen verstärkten gesellschaftspolitischen Diskurs («Raus aus der Nische – rein in den Mainstream») sowie – basierend auf Vorschlägen der OECD – komplementäre Fördergefässe, in denen auch Praktikerinnen und Praktiker miteinbezogen werden. In den Worten von Jakob Zinsstag, Präsident des Beirats von td-net: «Auch Nicht-Akademiker können auf ihrem Gebiet Experten sein.»
  • Anfang Oktober lancierte eine Gruppe von Schweizerischen Mittelbauorganisationen eine Petition an die Bundesversammlung, in der sie eine Diversifizierung der akademischen Karrierewege und «die vermehrte Schaffung von festen Stellen für Forschende und Lehrende nach dem Doktorat» fordert. Die Petition basiert massgeblich auch auf dem Bericht «Next Generation: Für eine wirksame Nachwuchsförderung», den die SAGW 2018 publiziert hatte.
  • Im September trat die Initiative «Better Science», lanciert von der Arbeitsgruppe «Kritischer Exzellenzdiskurs» an der Universität Bern, an die Öffentlichkeit. Sie möchte einer internationalen Bewegung, die anderswo unter Begriffen wie «Slow Science» bekannt ist, in der Schweiz ein Gesicht verleihen und fordert die akademische Welt zu einem Umdenken auf in Richtung mehr Nachhaltigkeit, Diversität und Chancengleichheit.
  • Anfang August nun gab der Schweizerische Nationalfonds (SNF) bekannt, dass er in der Karriereförderung die Empfehlungen der Dora-Deklaration, die er 2014 unterzeichnet hatte, übernommen und noch weitere Kriterien angepasst habe. «Wer ein Gesuch einreicht, soll ab sofort keine Impact-Faktoren angeben», heisst es auf der Website. Dafür sollen künftig «andere Leistungen wie die Zusammenarbeit mit Anspruchsgruppen, die Kommunikation mit der Öffentlichkeit, Datensets, Software, Patente, Konferenzbeiträge und Preise» stärker gewichtet werden. Damit übernimmt der SNF weitgehend Empfehlungen, wie sie das «Directorate-General for Research and Innovation» der EU-Kommission im Bericht «Evaluation of research careers fully acknowledging Open Science practices» von 2017 formuliert hatte.
  • Im Juni legte die SAGW den Bericht «Next Generation und Third Space: neue Karriereprofile im Wissenschaftssystem» vor, der sich mit alternativen Karriereoptionen von Forscherinnen und Forschern im Hochschulwesen befasst und eine stärkere Profilierung von Third-Space-Positionen im schweizerischen Bildungs-, Forschungs- und Innovationssystem empfiehlt.

Viele Herausforderungen lassen sich eher mit einem Kulturwandel als mit Geld lösen

Die fünf Initiativen stammen von ganz unterschiedlichen Akteuren aus der Hochschullandschaft und setzen verschiedene Akzente und Prioritäten. Allen gemein ist indes, dass sie die Wissenschaftskultur bewegen möchten. Und vielleicht auch noch ein zweiter Punkt: Viele der wissenschaftspolitischen Herausforderungen, die sie identifizieren, lassen sich eher mit einem Kulturwandel als mit Geld lösen. In den Worten von Jürgen Stember, Präsident der Rektorenkonferenz der Hochschulen für den öffentlichen Dienst in Deutschland: «Ich denke, dass vor allem die wichtigen Aspekte der Nachhaltigkeit und Praxis­orientierung erst in zweiter Linie vom Geld abhängig sind. In erster Linie kommt es hierbei auf Änderungen von Einstellungen, Kulturen, Gewohnheiten und Denkmustern an, die losgelöst von Budgets und Geldern erfolgen können.»