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Stellungnahme zur Volkszählung 2010

Stellungnahmen

Zuhanden an Herrn Bundespräsident Cuchepin

 

Herrn
Bundesrat Pascal Couchepin
Vorsteher des Eidgenössischen
Departements des Innern
Bundeshaus Ost
3003 Bern

Bern, 24. Januar 2006

Sehr geehrter Herr Bundesrat Couchepin

Wir danken Ihnen für die Möglichkeit, zur geplanten Umgestaltung der Volkszählung 2010 Stellung zu nehmen. 

Die Daten der Volkszählung sind für die sozialwissenschaftliche Forschung von grosser Bedeutung. Die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) – vertreten durch ihren Wissenschaftspolitischen Rat der Sozialwissenschaften (CPS) – hat die Diskussion um die Volkszählung 2010 deshalb aufmerksam verfolgt. Der CPS hat Ihnen seine Position bereits in einem Schreiben vom 25. Oktober 2005 dargelegt. Wir erlauben uns, die wesentlichen Punkte aus jenem Brief aufzugreifen. 

I Allgemeine Bemerkungen 
Die SAGW begrüsst die Modernisierung der Volkszählung in der Schweiz sowie die Bemühungen zur Schaffung einer nationalen Registerzählung. Allerdings würde der damit einhergehende, geplante Verzicht auf die Vollerhebung zu einem Verlust wichtiger Daten führen.

  • Die Volkszählung erfüllt eine doppelte Funktion: Einerseits stellt sie Informationen bereit, die für die Verwaltung (Bund, Kantone und Gemeinden) relevant sind. Andererseits macht sie Tendenzen und Trends sichtbar, was für die Früherkennung sozialer Entwicklungen und damit für die sozialwissenschaftliche Forschung unverzichtbar ist. Das vorgeschlagene Modell für die Volkszählung 2010 erfüllt die Bedürfnisse der Bundesverwaltung. Inwiefern auch gesellschaftlich relevante Aspekte berücksichtigt werden, ist auf der Basis der uns vorliegenden Informationen nicht abzuschätzen, muss aber als fraglich erscheinen.
  • Flächendeckende Daten sind gerade in der kleinräumigen Schweiz von grossem Interesse. Detaillierte Aussagen über die Entwicklung von Sprachgrenzen beispielsweise lassen sich nur aus einer Vollerhebung ableiten. Dagegen kann mittels einer Stichprobenerhebung nur die grobe Ausdehnung der Sprachregionen festgestellt werden.
  • Der Vorschlag des Bundesrates, die Kosten von Vollerhebungen auf die Kantone abzuwälzen, wird faktisch dazu führen, dass eine grosse Zahl der Kanton auf die Vollerhebung verzichtet. Folglich bringt diese Massnahme das Ende einer 150jährigen Tradition flächendeckender Erhebungen.
  • Die Resultate der Volkszählung werden zur Eichung anderer Erhebungen herbeigezogen. Dies wäre in Zukunft nur noch mit jenen Daten möglich, die in den Registern enthalten sind. Angaben zu Ausbildung und Beruf, die oft zu diesem Zweck herangezogen werden, sind in den Registern aber nicht enthalten.

Die Akademie ist sich durchaus bewusst, dass eine Registerzählung mit ergänzenden Stichprobenanalysen sowohl in finanzieller als auch in zeitlicher Hinsicht einen Effizienzgewinn verspricht. Es ist sorgfältig abzuwägen, ob der Verlust von Daten durch die Vorteile der vorgesehenen regelmässigen Datenerhebung wettgemacht werden kann. Wichtige Fragen sind vorab zu klären:

  • Qualität der Daten: Welche Qualität (Repräsentativität, Vergleichbarkeit, Stichproben-grösse) werden die Informationen haben, die aus den ergänzenden Stichprobenanalysen stammen?
  • Vergleichbarkeit: Kann garantiert werden, dass die neu gewonnen Daten noch mit den Resultaten früherer Volkszählungen vergleichbar sind?
  • Vernetzung: Der Bundesrat hat beschlossen, die Registerzählung unabhängig von der Einführung einer Personenidentifikationsnummer einzuführen. Wie können dann die Daten der Zusatzerhebung mit den Resultaten der Registerzählung vernetzt werden?
  • Zugang: Wird gegenüber der wissenschaftlichen Forschung garantiert sein, dass kein Zugangsmonopol des BfS entsteht?
  • Kosten: Wie gross sind die finanziellen Einsparungen tatsächlich, die durch die Neukonzeption der Volkszählung realisiert werden sollen? Das Versprechen von Einsparungen geht von der irrigen Annahme aus, dass die Hälfte aller relevanten Daten bereits in den Registern enthalten sei. Ohne detaillierte Kostenplanung ist die Hoffnung auf geringere Kosten möglicherweise verfrüht.
  • Und falls tatsächlich Einsparungen realisiert werden können: Dürfen wir davon ausgehen, dass die eingesparten Mittel weiterhin der Forschung und der eidgenössischen Statistik zur Verfügung stehen?

Die Begleitdokumentation zu dieser Vernehmlassung verweist auf die guten Erfahrungen, welche die skandinavischen Staaten mit der Registerzählung gemacht hätten. Tatsächlich haben Schweden, Norwegen und Dänemark ihre Volkszählungen auf reine Registerzählungen umgestellt – in einem Prozess freilich, der bis zu 3 Jahrzehnte in Anspruch genommen hat. Rückmeldungen aus diesen Ländern zeigen, dass mit zunehmendem Anteil der Registerdaten der Spielraum schwindet, um flexibel und relativ kurzfristig neue Fragestellungen in die Erhebung einzubauen. Ein Modell, wie es in den skandinavischen Staaten praktiziert wird, mag deshalb zwar die Bedürfnisse der Verwaltung befriedigen, gesellschaftlich und wissenschaftlich relevante Fragestellungen jedoch können auf diesem Weg nur noch beschränkt berücksichtigt werden. Auch verweisen die Verantwortlichen mit Nachdruck darauf hin, dass eine Personenidentifikationsnummer unerlässlich für das Funktionieren einer Registerzählung ist. Dies stellt den Entscheid des Bundesrates in Frage, eine Registerzählung bereits vor der Einführung der Personenidentifikationsnummer durchzuführen. Schliesslich ist daran zu erinnern, dass in den nordischen Ländern die Verknüpfung von Daten aus verschiedenen Registern möglich ist und auch praktiziert wird. So werden die Einwohnerregister mit Daten etwa aus Beschäftigungs- oder Steuerregistern ergänzt, um deren Lücken auszugleichen. 

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine Kosten-Nutzen-Analyse nicht möglich, da die Modelle, welche das BfS präsentiert, offen und ungenau sind. Wir können nur feststellen, dass ein staatspolitisch bedeutendes und für die Forschung unverzichtbares Instrument durch ein übereiltes Vorgehen gefährdet wird. Es sollte deshalb dringend von der Idee Abstand genommen werden, eine so fundamentale Änderung wie die Registerzählung mit ergänzenden Stichprobenanalysen schon für die Volkszählung 2010 zu implementieren. Die Akademie empfiehlt, die aufgeworfenen Fragen einer sorgfältigen, neutralen Prüfung zu unterziehen und die Ergebnisse und Folgerungen in einer wissenschaftlichen, von aussen stehender Seite erstellten Expertise zusammenzufassen. 

II Zu den Fragen 

Frage 1(Registerharmonisierung)
Die Punkte a und b zu klären ist Aufgabe der Bundesverwaltung und der kantonalen Administrationen. Eine Verschiebung der Erhebung bricht die Periodizität der Angaben und ist für die SAGW deshalb keine Option. 

Frage 2 (Informationsauftrag) 

Die Formulierung des Informationsauftrages und die Ausgestaltung der Erhebungen, die neben der Registerzählung vorgenommen werden müssen, sind von zentraler Bedeutung für die sozialwissenschaftliche Forschung. Es scheint uns jedoch müssig, über einzelne Items zu debattieren, solange die unter I genannten grundlegenden Probleme nicht geklärt sind, und solange das BfS die Modelle für die ergänzenden Stichprobenerhebungen, respektive die Ausweitung von SAKE und SILC, nicht vorgelegt hat. Ist das einmal geschehen, sind wir gerne bereit, auf dieser Grundlage die gestellten Fragen und auch weitere im Zusammenhang mit den Stichprobenerhebungen auftauchende Probleme zu diskutieren. 

III Fazit 

Die SAGW begrüsst die Modernisierung der Volkszählung in der Schweiz sowie die Bemühungen zur Schaffung einer nationalen Registerzählung. Gleichwohl ist sie der Meinung, 2010 sei statt der geplanten Schnellaktion nochmals eine traditionelle Volkszählung (oder eine registergestützte Volkszählung, ergänzt durch eine Vollerhebung der nicht in Registern enthaltenen Merkmale) durchzuführen, denn die verbleibende Zeit bis zum nächsten Volkszählungstermin ist zu kurz bemessen für eine qualitativ genügende Erfassung der Schweizer Bevölkerung auf Registerbasis und für eine politisch und fachlich zuverlässige Abklärung der zur Zeit noch zahlreichen offenen Fragen. 

Wir danken Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesrat, für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit und versichern Sie unserer vorzüglichen Hochachtung. 

Prof. Dr. Anne-Claude Berthoud, Präsidentin der SAGW 
Dr. Markus Zürcher, Generalsekretär der SAGW

Kopie an das Bundesamt für Statistik, Espace de l’Europe 10, 2010 Neuchâtel