Qualitäts- und Leistungsbeurteilung

Ein Wissenschaftssystem in Schieflage

Getrieben von Wettbewerbsdruck und Leistungsmessung zählt heute insbesondere, was sich zählen lässt: viele Publikationen und viele Zitierungen. Diese bilden oft auch die Grundlagen, auf denen Fördergelder und prestigeträchtige Stellen vergeben werden. Aus diesem Grund bestehen Beweggründe, häufig und schnell Ergebnisse zu veröffentlichen. So werden beispielsweise Teilergebnisse bereits vor dem Ende einer Studie kommuniziert.

Die Folgen sind unabsichtliche Falschmeldungen, eine Flut von Publikationen und eine Forschungsförderung, die quantitative Kriterien zu stark wertet. Damit ist die Frage einer angemessenen Evaluation von Forschung dringender denn je. Denn die Evaluationspraxis ist ein Instrument der Hochschulsteuerung: Mit ihr können zielführende, aber auch falsche Anreize gesetzt werden, sie prägt die Spielregeln einer akademischen Laufbahn und befördert die strategische Ausrichtung einer Forschungseinheit.

Ziele der SAGW

Die SAGW möchte dazu beitragen, dass Qualitäts- und Leistungsbeurteilungen nicht lediglich dem Selbstzweck dienen. Dementsprechend setzt sie sich dafür ein, dass in der Evaluation von aktuellen Forschungsergebnissen neue, nicht-quantitative Kriterien miteinbezogen werden. Eine gute Evaluation ist aus dieser Perspektive:

  • kontextbezogen
  • disziplinenspezifisch
  • bottom-up
  • mehrdimensional
  • nicht-metrisch (quantitative UND qualitative Kriterien)

Es ist an der Zeit, dass im universitären Feld Ergebnisse wieder debattiert und nicht gezählt werden.

Markus Zürcher, SAGW-Generalsekretär

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Christian Weibel

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

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News

Schwindender Einfluss der Impact-Faktoren in der Karriereförderung

Heinz Nauer

Wer beim Nationalfonds künftig ein Gesuch einreicht, soll keine Impact-Faktoren mehr angeben.

Ende Juli publizierte das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) neue Erkenntnisse aus ihren regelmässigen bibliometrischen Untersuchungen zur Forschung in der Schweiz. Dem neusten Bericht kann man etwa entnehmen, dass die Schweiz nach dem durchschnittlichen Impact der Publikationen ihrer Forschungscommunity gemessen knapp hinter den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich die globale Nr. 3, bei der absoluten Zahl ihrer Publikationen pro Einwohner gar die Nr. 1 ist. Die Herausgeber versäumen es indes nicht, die Grenzen dieses bibliometrischen Zugangs zu erwähnen; gerade die Geisteswissenschaften entziehen sich seinen Instrumenten. Monografien und Bücher beispielsweise werden gar nicht gezählt, nicht-englische Publikationen kaum.

Das Primat der Bibliometrie und der verschiedenen Impact-Faktoren in der Evaluation von Forschung geriet in den letzten Jahren unter Druck. Die Dora-Deklaration von 2012, die bis heute von über 2000 Wissenschaftsorganisationen, darunter die SAGW, und 16 000 Forscherinnen und Forschern unterzeichnet wurde, empfiehlt eine umfassendere Bewertung wissenschaftlicher Leistung. Ein Ende Juli publizierter Bericht von Science Europe empfiehlt Forschungsförderorganisationen, sich bei der Evaluation auf die Qualität der Anträge zu konzentrieren und nicht auf bibliometrische Aspekte wie Journal-Impact-Faktoren. Auch die SAGW hat in der Vergangenheit mehrfach Alternativen zum vorherrschenden auf Quantität beruhenden Evaluationssystem vorgeschlagen, zuletzt 2019 in ihren Empfehlungen für eine wirksame Förderung der Geistes- und Sozialwissenschaften.

Der Nationalfonds möchte unterschiedliche Karrierewege besser berücksichtigen

Anfang August nun gab der Schweizerische Nationalfonds (SNF) bekannt, dass er in der Karriereförderung die Empfehlungen der Dora-Deklaration, die er 2014 unterzeichnet hatte, übernommen und noch weitere Kriterien angepasst habe. «Wer ein Gesuch einreicht, soll ab sofort keine Impact-Faktoren angeben», heisst es auf der Website. Dafür sollen künftig «andere Leistungen wie die Zusammenarbeit mit Anspruchsgruppen, die Kommunikation mit der Öffentlichkeit, Datensets, Software, Patente, Konferenzbeiträge und Preise» stärker gewichtet werden. Damit übernimmt der SNF weitgehend Empfehlungen, wie sie das «Directorate-General for Research and Innovation» der EU-Kommission im Bericht «Evaluation of research careers fully acknowledging Open Science practices» von 2017 formuliert hatte.

Quantitative Indikatoren in der Evaluation sollen daneben weiterhin eine Rolle spielen, allerdings unabhängig vom Impact-Faktor von Zeitschriften. Weitere Neuerungen in der Evaluation betreffen die Berechnung des sogenannten «akademischen Alters», das neu nur noch die Zeit umfassen soll, die tatsächlich der Forschung gewidmet werden konnte, nach Abzug von Unterbrüchen und nicht-wissenschaftlicher Arbeit, sowie die akademische Mobilität, die breiter definiert wird als bislang. Insgesamt würden die Auswahlverfahren so fairer und unterschiedliche Karrierewege besser berücksichtigt, lässt sich Marcel Kullin, Leiter der Abteilung Karriereförderung beim SNF, zitieren.