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Präimplantationsdiagnostik

Stellungnahmen

Stellungnahme der Akademien der Wissenschaften Schweiz

Teilrevision des Bundesgesetzes über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Präimplantationsdiagnostik)

Bundesamt für Gesundheit (BAG)
3003 Bern

Stellungnahme der Akademien der Wissenschaften Schweiz zur Teilrevision des Bundesgesetzes über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (Präimplantationsdiagnostik)

Sehr geehrte Damen und Herren
Wir danken Ihnen für die Möglichkeit, zur Totalrevision des Bundesgesetzes über die medizinisch unterstützte Fortpflanzung (FMedG) Stellung nehmen zu können. Da unsere Bemerkungen grundsätzlicher Art sind, verzichten wir auf eine detaillierte Stellungnahme zu den einzelnen Artikeln, bzw. auf das Ausfüllen des zugestellten Rasters.

Die Akademien der Wissenschaft Schweiz begrüssen die Aufhebung des Verbots der Präimplantationsdiagnostik (PID) und deren Zulassung im Rahmen von Fortpflanzungsverfahren mit In-vitro-Fertilisation ausdrücklich.  Die Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) hatte sich bereits 2006 mit einem Schreiben  an die Mitglieder der Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur (WBK) der beiden Räte gewandt und in diesem Sinn geäussert. Die nun in der Teilrevision des FMedG vorgeschlagene Regelung zur PID ist jedoch aus den nachfolgenden Gründen verbesserungsbedürftig.

Fehlende Übereinstimmung mit Good Medical  Practice
Aus Sicht der ExpertInnen aus den Bereichen der Reproduktionsmedizin und der Genetik ist PID unter den vorgeschlagenen engen Rahmenbedingungen nicht vereinbar mit Good Medical Practice und somit auch medizinethisch nicht vertretbar. Dürfen nicht mehr als 3 Embryonen auf ein Mal entwickelt und untersucht werden, so sind die Chancen für ein Paar mit einem hohen genetischen Risiko, innerhalb eines Behandlungszyklus einen Embryo zu finden, der dieses Risiko nicht trägt, sehr gering.  Als Ausweg ist eine nachträgliche Ausdifferenzierung weiterer Embryonen aus eingefrorenen und wiederaufgetauten imprägnierten Eizellen erlaubt, ein Verfahren für das keine wissenschaftliche Evidenz / dokumentierte Erfolgsaussicht besteht. Angesicht der körperlichen Belastung der Frau, aber auch der emotionalen (und finanziellen) Belastung des betroffenen Paares, müsste unter diesen Umständen den ratsuchenden Paaren empfohlen werden, sich diesen Behandlungen im Ausland zu unterziehen, wo von Anfang an eine adäquate Zahl vitaler Embryonen untersucht werden kann mit entsprechend höherer Erfolgsrate. 

Fehlende Berücksichtigung gesellschaftlicher Entwicklungen
Seit dem Inkrafttreten des Art. 119 BV konnten sich die BürgerInnen der Schweiz wiederholt zu heiklen Fragen im Grenzbereich von Medizin und Gesellschaft äussern, namentlich bei der Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs, aber auch bei genetischen Untersuchungen und bei der Forschung mit embryonalen Stammzellen. Die Resultate dieser Abstimmungen haben deutlich gezeigt, dass die StimmbürgerInnen –  innerhalb von klaren Grenzen – der Selbstverantwortung der schwangeren Frau, aber auch derjenigen der Ärzte und der Forschenden einen hohen Stellenwert einräumen. 

Fehlende Kohärenz mit bereits bestehenden gesetzlichen Regelungen 
Bei der  Formulierung der vorgelegten Gesetzesrevision steht eine Grundhaltung im Vordergrund, die von Misstrauen bzw. Angst vor Missbrauch geprägt ist, als wäre die PID nach wie vor als eine moralisch fragwürdige Handlung anzusehen, die es zwar zu tolerieren, aber nicht zu unterstützen gilt. In dieselbe Richtung geht auch die in  Art. 11a des Entwurfs vorgeschlagene Meldepflicht, gemäss welcher das IVF-Verfahren mit PID erst durchgeführt werden darf, wenn das BAG nicht innerhalb von 60 Tagen anders verfügt. Im Gegensatz dazu hat das Gesetz über genetische Untersuchungen am Menschen (GUMG) mit Art. 10 und 11 eine Formulierung gewählt, die einerseits dem Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen Rechnung trägt und andererseits die Möglichkeit eröffnet, zukünftige Entwicklungen zu berücksichtigen. Gleichzeitig wird eine ständige Fachkommission damit beauftragt, Empfehlungen für die Praxis abzugeben und Lücken in der Gesetzgebung aufzuzeigen.

Die vorgeschlagene Neuregelung steht aber nicht nur in einem Spannungsverhältnis zum GUMG, sondern auch zur Regelung des Schwangerschaftsabbruchs. Dieser ist bis zur 12. Woche straflos, wenn die Schwangere geltend macht, dass sie sich in einer Notlage befindet. Befürchtungen, dass diese liberale Lösung – in der ebenfalls das Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Frau im Zentrum steht –  zu einer Ausweitung des Schwangerschaftsabbruchs führt, haben sich nicht bestätigt. Die Zahl der Abtreibungen in der Schweiz ist gegenüber Ende der 60er Jahre massiv zurückgegangen und hat sich in den 90er Jahren auf niedrigem Niveau stabilisiert.

Gestützt auf diese Ausführungen weisen wir die Teilrevision des FMedG in der vorgeschlagenen Fassung zurück und beantragen eine Überarbeitung im nachfolgenden Sinn. Aus Sicht der Akademien der Wissenschaften Schweiz müsste eine gute Lösung eine Harmonisierung mit der bestehenden Gesetzgebung beinhalten und folgende Punkte berücksichtigen:

1. Regelung der PID im Rahmen des GUMG
Das Gesetz über genetische Untersuchungen am Menschen (GUMG) hält in Art. 10 (Genetische Untersuchungen bei Personen) fest, dass solche Untersuchungen nur durchgeführt werden dürfen, wenn sie einem medizinischen  Zweck dienen. In Art. 11 des GUMG wird der Anwendungsbereich der Pränatalen Untersuchungen wie folgt beschrieben:

  • Es ist verboten, pränatale Untersuchungen durchzuführen, die darauf abzielen:
  • a. Eigenschaften des Embryos oder des Fötus, welche dessen Gesundheit nicht direkt beeinträchtigen, zu ermitteln; oder  
  • b. das Geschlecht des Embryos oder des Fötus zu einem anderen Zweck als der Diagnose einer Krankheit festzustellen.

Da es sich auch bei der PID um eine genetische Untersuchung handelt, scheint es folgerichtig, dafür eine analoge Regelung vorzusehen.

Zudem sollte eine zusätzliche HLA-Typisierung eines Embryos zugunsten eines kranken Geschwisters dann möglich sein, wenn alle anderen therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind und auch die Voraussetzungen gemäss Art. 13 des Transplantationsgesetzes erfüllt sind.


2. Genetische Beratung
Der Information und (nicht-direktiven) Beratung kommt bei jeder Art von genetischer Untersuchung zu Recht eine grosse Bedeutung zu – im GUMG sind allein vier Artikel (Art. 14-17) diesem Thema gewidmet. Analoge Regelungen sind selbstverständlich auch bei der Revision des FMedG vorzusehen.

3. Bewilligung, Berichterstattung und Meldepflichten
Aus Gründen der Qualitätssicherung (siehe unter 4) ist für Laboratorien, welche PID durchführen wollen, eine Bewilligung vorzusehen; diese ist an die Erfüllung gewisser Kriterien zu koppeln.

Die Berichterstattung bezüglich PID ist ähnlich auszugestalten, wie sie im aktuellen FMedG in Art. 11 für die fortpflanzungsmedizinischen Verfahren vorgesehen ist; sinnvoll erscheint uns eine jährliche Meldung an die Expertenkommission für genetische Untersuchungen beim Menschen.
Eine zusätzliche HLA-Typisierung eines Embryos kann in Analogie zur im Transplantationsgesetz bereits geregelten postnatalen Spende regenerierbarer blutbildender Stammzellen für ein schwer krankes Geschwister befürwortet werden (in der CH ca. 2-3 Patienten/Jahr). Da die zusätzliche HLA-Typisierung eines Embryos zugunsten eines Geschwisters komplexe medizinische, psychologische und ethische Fragen aufwirft, könnte hier eine Bewilligungspflicht durch ein spezielles Expertengremium angezeigt sein.


4. Qualitätssicherung (inkl. Follow up)
Angesichts der Komplexität genetischer Untersuchungen und der Schwierigkeit bei der Interpretation muss auf die Qualitätskontrolle grosses Gewicht gelegt werden. Internationale Daten zeigen (und dies gilt nicht nur für PID und PND, sondern auch für die IVF selbst), dass die Anzahl durchgeführter Untersuchungen resp. Behandlungen, einen wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis haben. Die Resultate sind umso besser, je grösser die Expertise ist. Diese ist wesentlich abhängig von der Anzahl durchgeführten Behandlungszyklen. In der Schweiz gibt es 25 Zentren, die insgesamt 4060 IVF-Zyklen  durchführen, wobei das kleinste Zentrum jährlich 44 und das grösste 1065 Behandlungen  durchführt. Dies spricht unseres Erachtens dafür, dass der Bund klare Vorgaben bezüglich Qualität geben muss.

Bei der PID kommen als speziell kritische Schritte noch die Embryonenbiopsie, die Einzelzell-PCR sowie die Fixierung eines einzelnen Zellkernes für die Fluoreszenzmikroskopie hinzu. Bei den prognostizierten 50-100 PID-Untersuchungen pro Jahr und der aus dem Ausland bekannten mehrjährigen Lernkurve wird eine Reduktion der Zentren auf 2-3 aus Gründen der Good Medical Practice empfohlen.

Eine Regelung, welche diesen Punkten Rechnung trägt, könnte unseres Erachtens bereits mit Aufhebung des PID-Verbotes, d.h. einer Streichung der Artikel 5 Abs. 3 sowie Art. 17 Abs. 1 des bestehenden FMedG erreicht werden. Angesichts der ethischen Brisanz des Themas ist eine Lösung, mit welcher PID – ohne ein entsprechendes Verbot – automatisch in den Anwendungsbereich des GUMG fallen würde, aber nicht zweckmässig. Es soll keinesfalls der Eindruck entstehen, dass das Thema «unter der Hand» geregelt wird. Anzustreben ist vielmehr eine offene gesellschaftliche Diskussion, in welcher auch eine Revision des aus medizinischer, juristischer und medizinethischer Sicht unglücklichen Artikels 119 Abs. 2 BV thematisiert werden muss. 

Die vorgesehene Revision des FMedG bietet die Möglichkeit, gesetzliche Regelungen, die in einem anderen gesellschaftspolitischen Kontext entstanden sind und sich in der Zwischenzeit als ungeeignet oder untauglich erwiesen haben, zu überprüfen bzw. zu ändern. Die vorgeschlagenen Änderungen gehen unseres Erachtens in eine falsche Richtung, indem sie eine enge, komplizierte und bürokratische Lösung vorsehen. Gerne hoffen wir, dass unsere Vorschläge mithelfen, eine bessere Lösung zu finden.

Mit freundlichen Grüssen

Prof. Peter Suter               
Präsident                    
 

Dr. Markus Zürcher
Vorsitzender der Geschäftsleitung

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