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«Wir müssen vom Gedanken wegkommen, dass ein Denkmal eine ewige Existenzberechtigung hat»

Heinz Nauer, Christina Graf
Gesellschaft – Kultur – Sprache Recht und Politik

Am 19. Oktober diskutierte ein Panel die Frage, wie zivilgesellschaftliche Akteure öffentliche Erinnerungskultur erfolgreich mitgestalten können. Ein Rückblick in Zitaten.

Wie können Behörden Teilhabe ermöglichen in einem Raum, der nur begrenzt Platz bietet? Gehört der Konflikt zur Partizipation? Weshalb verschiebt man erinnerungskulturelle Anliegen nicht einfach in den digitalen Raum? Diesen Fragen diskutierten am 19. Oktober ein Geschichtsdidaktiker, ein Aktivist und eine Behördenvertreterin in einem Onlinepanel. Die Veranstaltung fand als Teil der Reihe «Science after Noon» der Akademien der Wissenschaften Schweiz statt.

Ausgangspunkt für die Diskussion war die im September publizierte SAGW-Studie «Erinnerung partizipativ gestalten», die 14 Denkmal-Aktionen aus der Zivilgesellschaft untersucht. Die Auswertung zeigt, dass viele Wege zur erinnerungskulturellen Teilhabe führen. Für die kleinräumige Schweiz legt sie dar, wie Föderalismus und direktdemokratische Instrumente Partizipation einerseits begrenzen, andererseits ermöglichen.

zur Paneldiskussion in voller Länge (Youtube, Dauer: 68 Min., Moderation: Christina Graf, SAGW)

Die drei Panelgäste

Was verstehen Sie unter Erinnerungskultur und Partizipation?

Im Begriff «Erinnerungskultur» sind drei Dimensionen angelegt: Die materiale Dimension umfasst konkret Medien und Artefakte, durch welche Erinnerungskultur sicht- und erfahrbar wird. Die soziale Dimension beschreibt Institutionen und Praktiken, die Wissen produzieren und speichern. Zur mentalen Dimension gehören Codes, auf denen die Denkmuster beruhen, welche Geschichtsbilder prägen. Sebastián Lingenhöle

Als Aktivist brauche ich eine Idee und ich brauche eine Gruppe, die sich um diese Idee schart, um die Idee zu kultivieren und zu stärken. Das Partizipieren ist ein Wettstreit im öffentlichen Raum, ein Aufeinanderknallen. So entsteht Reibung, aber das ist auch das Spannende daran. Jan Morgenthaler

Gehört der Konflikt zur Partizipation?

Partizipation ist ein Aushandlungsprozess im öffentlichen Raum, ja. Für uns geht es aber noch viel weiter. Partizipation setzt auch eine Verantwortung voraus. Das heisst, es geht nicht nur darum, zu sagen, was man will, sondern auch zu verantworten, was daraus entsteht. Sara Izzo

Was können die Behörden tun, um Denkmalaktionen zu unterstützen?

Es gibt keine Stadt, wo es einen klar definierten Ort gibt für erinnerungskulturelle Anliegen. Es gibt auch keine klaren gesetzlichen Grundlagen. Es wäre aber wichtig, dass man definiert, wie die Wege zu sein haben. Ich bin gar kein Fan davon, dass die Behörden sogenannte Fast-tracks offerieren, die leicht zu einer gewissen Willkür führen können. Sara Izzo

Die lokale Verankerung ist total wichtig. Dann kann ich rasch einordnen, ob es sich bei den Personen in der Behörde um Verbündete oder um Bremser handelt und entsprechend Koalitionen bilden. Die Suche nach Bündnispartnern ist entscheidend. Ich selber habe sie immer wieder an überraschenden Orten gefunden. Jan Morgenthaler

Wer sollte bei Denkmalaktionen das letzte Wort haben?

Wenn die Politik über erinnerungskulturelle Vorhaben diskutiert, wird es schnell schwierig. Es geht dann zu stark um eigene Interessen und Parteipolitik. Ich bin der Meinung, dass die Zivilgesellschaft die Initiative ergreifen muss, bottom-up. Sara Izzo

Es ist die Aufgabe der Verwaltung, Ideen aus der Zivilgesellschaft aufzunehmen. Wenn sie aber bremst und bremst, kann ich nur den Druck erhöhen, bis die Diskussion ins Politische schwappt. Meine Erfahrung ist, dass, wenn die Politik sagt, doch das wollen wir, die Verwaltung plötzlich sehr kooperativ ist. Jan Morgenthaler

Wie kann man Menschen zur Teilhabe bewegen?

Auch wenn der Einsatz digitaler Medien den Partizipationsgrad deutlich erhöht, sind es oft Gespräche und der direkte Austausch vor Ort, die am meisten Anklang finden. Sebastián Lingenhöle

Kann man erinnerungskulturelle Anliegen in den digitalen Raum verschieben?

Nein, ich denke nicht. Um das Platzproblem zu lösen, müssen wir vielleicht vom Gedanken wegkommen, dass ein Denkmal eine ewige Existenzberechtigung hat, und stärker temporär denken. Sara Izzo

Jede Generation soll die Möglichkeit haben, sich im öffentlichen Raum mit geschichtlichen Ereignissen auseinandersetzen zu können. Dabei ist aber der Prozess das Entscheidende und nicht das Objekt am Ende, das dann die Stadt vermöbelt. Jan Morgenthaler

SAGW-Studie «Erinnerung partizipativ gestalten»

Von 1999 bis 2022, von Zürich über Lissabon bis Portland: Eine neue Studie im Auftrag der SAGW hat 14 Denkmal-Aktionen aus der Zivilgesellschaft untersucht. Die Auswertung zeigt, dass viele Wege zur erinnerungskulturellen Teilhabe führen. Für die kleinräumige Schweiz legt sie dar, wie Föderalismus und direktdemokratische Instrumente Partizipation einerseits begrenzen, andererseits ermöglichen.

Schillig, Anne, Gian Knoll und Sebastián Lingenhöle (2022): Erinnerung partizipativ gestalten. Zivilgesellschaftliche Teilhabe an der Gestaltung öffentlicher Erinnerungskultur in der Schweiz. Bericht im Auftrag der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (Swiss Academies Reports 17,1). https://doi.org/10.5281/zenodo.6539433