Von Ali Sonay
«Um die Ordnung der Welt zu etablieren, ist auch der Brudermord ein legitimes Mittel», sagt Sultan Mehmed II mit grimmiger Miene. Symbolträchtig greift der osmanische Eroberer von Konstantinopel nach einem Schwert – dem Schwert, das man zum Erhalt des Imperiums selbst gegen die eigenen Brüder erheben darf. Die Szene mit dem grausamen Herrscher markiert den Beginn der saudisch-emiratischen Fernsehserie «Königreiche des Feuers» (Mamālik an-Nār). Die auf nicht weniger als 40 Millionen Dollar budgetierte Produktion wurde vom saudischen Sender MBC (Middle East Broadcasting Center) mit Sitz in Dubai als vierzehnfolgige Serie konzipiert. Die Ausstrahlung begann im November 2019 und spielt im 16. Jahrhundert, als die Osmanen unter Sultan Selim I den grössten Teil des arabischen Territoriums ihrem Reich einverleibten – Ägypten, die Levante und die Arabische Halbinsel. Durch den Sieg über den mamlukischen Sultan erhielt Selim I auch als erster osmanischer Sultan den Titel «Diener der beiden heiligen Stätten» der zwei wichtigsten heiligen Städte des Islam, Mekka und Medina. Heute trägt der saudische König diesen Titel.
Globaler Serien-Trend
Die Politik mit Serien als eine Form von Soft Power ist Ausdruck einer Zeit, in der die Popularität von Fernsehdramen weltweit zugenommen hat. Neben Global Playern wie Netflix und Amazon Prime versuchen auch Produzenten im Nahen Osten und Nordafrika den in der Region beliebten Fernsehmarkt zu bedienen. Dabei sind die Erwartungen der Zuschauerinnen durch die hohen Standards erfolgreicher Serien wie etwa Game of Thrones enorm gestiegen.
Das spiegelt sich auch im Aufwand für «Königreiche des Feuers». Zentraler Schauplatz der Serie ist Ägypten, das in den letzten Jahren in den Fokus der ideologischen und geopolitischen Grabenkämpfe der Region geraten ist. Im 16. Jahrhundert bereitete die osmanische Eroberung Ägyptens dem mamlukischen Reich ein Ende, das türkisch- und tscherkessisch-stämmige Söldner begründet hatten. In der letzten Szene vor seiner Hinrichtung in Kairo zeigt die Serie den entthronten mamlukischen Herrscher Tuman Bay beim Versprechen, dass «Ägypten weiterhin bestehen» werde.
Für das arabische Publikum war die Botschaft schnell klar: Ägypten wird trotz der beginnenden türkisch-osmanischen «Fremdherrschaft», die nahezu 400 Jahre dauern sollte, seine «wahre Identität» nicht verlieren. Die düstere Darstellung der osmanischen Herrschaft ist zudem eine unverhohlene Retourkutsche an die türkischen Serien, die derzeit das osmanische Reich in rosigen Farben zeichnen. Diese Serien sind mithin Teil politischer Propaganda, denn mit einer «Wiederbelebung» der osmanischen Geschichte und Mythologie versucht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan den türkischen Führungsanspruch über die muslimische Welt zu behaupten. Arabischen Mächten ist diese Politik ein Dorn im Auge.
Osmanisches «Sex and the City»
Erdoğan und seine Anhänger suchen in der Vergangenheit des osmanischen Reichs (1299-1923) Inspiration für eine kritische Neubewertung der modernen, säkularistischen türkischen Republik. Die Glorifizierung der osmanischen Dynastie hat deshalb einerseits eine innenpolitische Bedeutung in der Auseinandersetzung zwischen Erdoğans Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) und der säkularistischen Opposition. Andererseits hat diese von der Forschung als «neo-osmanisch» bezeichnete Politik Erdoğans auch eine aussenpolitische Dimension. So pflegt die Türkei in ehemaligen Gebieten des Osmanischen Reiches enge Beziehungen zu ihr ideologisch nahestehenden Gruppen aus dem Umfeld der Muslimbrüder, und interveniert bisweilen, wie in Nordsyrien und Libyen, auch aktiv militärisch in der Region. Zugleich engagiert sich Ankara für den Erhalt von osmanischem Kulturerbe im arabischen Raum. Die türkische Führung betrachtet diese Territorien als kulturell und emotional mit der Türkei verbunden; Regierungsvertreter geben sich dementsprechend auch als Fürsprecher der Gesamtheit der Muslime.
Türkische Fernsehserien über die Osmanen, die unter anderem auch auf Arabisch synchronisiert werden, sind ein Vehikel dieser Politik geworden. Die Türkei ist 2017 zum zweitgrössten Serienexporteur der Welt aufgestiegen – übertroffen nur von den Vereinigten Staaten. Diese Popularität ist nicht auf den arabischen Raum beschränkt, sondern lässt sich auch auf dem Balkan, in Zentralasien, in Südamerika und in Gebieten der türkischen Diaspora weltweit ausmachen. Muslime und Musliminnen bilden die grösste, jedoch nicht die einzige Zuschauerbasis. Inhaltlich hatte die erste Generation türkischer Serien einen Schwerpunkt auf Liebes- und Familiendramen und die Hauptdarstellerinnen und Hauptdarsteller werden auch im arabischen Raum als Stars gefeiert. Als eine der ersten ins Arabische übertragenen Serien zeigte Gümüş («Silber») die Türkei als modernes, wirtschaftlich erfolgreiches muslimisches Land – sprich, als potentielles Vorbild für ein muslimisches Publikum.
Die zweite Generation von Serien ist eher durch historische Themen geprägt. Zugleich gerieten die Serien zunehmend in den Fokus der Politik. Mit der in vier Staffeln zwischen 2011 und 2014 produzierten Serie «Das Osmanische Imperium – Harem: Der Weg zur Macht» (Muhteşem Yüzyıl) landeten die Produzenten einen globalen Erfolg: über 500 Millionen Zuschauer hatte die Serie, die internationale Medien als «osmanisches Sex and the City» betitelten, laut Schätzungen gesehen. Das reich ausgestattete Historiendrama spielt am Hof von Süleyman dem Prächtigen, unter dessen Herrschaft im 16. Jahrhundert das Osmanische Reich eine Blütezeit erlebte, und zeigte unter anderem heikle Themen wie Sklaverei und einen Sultan, der Konkubinen hatte. Die konservative Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Erdoğan kritisierte die Produzenten der Serie für ihre «unislamische» Darstellung des Sultans im Zusammenhang mit Alkoholkonsum und Sexleben. Süleyman habe vielmehr die meiste Zeit auf Eroberungsfeldzügen verbracht und sich somit auf vorbildliche Weise um das Reich gekümmert, hiess es von Seiten Erdoğans. Gewissermassen als Antwort auf diese private Produktion strahlte darauf der öffentlich-rechtliche Sender TRT1 die Serie «Auferstehung: Ertuğrul» aus.
Serienmusik auf Wahlveranstaltungen
Die Serie «Auferstehung: Ertuğrul», die zwischen 2014 und 2019 ausgestrahlt wurde, machte Furore. Sie handelt von der Gründerdynastie des Osmanischen Reiches. TV-Dramen wie «Ertuğrul» und die nationalistisch-religiösen Diskurse von Präsident Erdoğan nehmen wechselseitig Bezug aufeinander. So nutzte Erdoğans AKP den Soundtrack von «Ertuğrul» auf Wahlveranstaltungen, der Präsident besuchte das Set während der Dreharbeiten, und dem Helden Ertuğrul wird ein Zitat in den Mund gelegt, welches auch Erdoğan gerne benutzt, um seinen Gegnern Schlechtes zu wünschen: «Es lebe die Hölle für die Grausamen».1
Ertuğrul Gazi war der Vater des Gründers des Osmanischen Reiches Osman I. Die Serie schildert in fünf Staffeln, wie Ertuğrul türkische Stämme in Anatolien gegen die Kreuzfahrer und Mongolen vereinte und erfolgreich gegen interne «Verräter» vorging. Es ist eine Geschichte von der Verwirklichung einer perfekten Gemeinschaft nach muslimischem Ideal. Die Strahlkraft dieser vorbildlichen Gemeinschaft wird in der Serie zum Fundament für das lange Bestehen des Osmanischen Reiches und somit Grundlage einer möglichen «Auferstehung» dieser Gemeinschaft.
Eine geradezu heilsgeschichtliche Wendung nimmt die Serie mit dem Auftritt des berühmten islamischen Mystikers Ibn al-‘Arabi. Der Gelehrte aus Andalusien war einer der einflussreichsten Sufis in der Geschichte des Islam. Seine Reisen in den östlichen Mittelmeerraum fanden tatsächlich im 13. Jahrhundert zu Lebzeiten Ertuğruls statt. Ibn al-‘Arabi prophezeit in der Serie einen Siegeszug des Islam, von dem auch Christen und Juden profitieren würden. Von Konstantinopel aus würden die Muslime, wie von Prophet Mohammed vorhergesagt, fortfahren ein Weltreich errichten, und der Anführer dieser muslimischen Gemeinschaft (Umma) werde bald erscheinen. Er werde geistreich, barmherzig, mutig und gerecht sein. Sein Name werde Ertuğrul sein und seine Nachfahren, sprich, die Dynastie der Osmanen, würden seine Ideale fortsetzen.
Rivalitäten im Arabischen Frühling
Die arabischen Gegenspieler Erdoğans fühlten sich durch die populäre Serie «Ertuğrul» offenbar zu einer Reaktion gedrängt. Und diese kam mit den «Königreichen des Feuers». Die eingangs zitierten Worte von Mehmed II über den Brudermord sind zwar historisch belegt. Doch davon abgesehen bemühen sich die Macher dieser Serie wie auch die Produzenten von «Ertuğrul» nicht in erster Linie um historische Faktentreue, sondern verfolgen zuallererst eine politische Agenda. Der Produzent von «Königreiche des Feuers», Yasser Hareb, sagte in einem Interview: «Durch die osmanische Eroberung ist die arabische Welt in eine dunkle Phase eingetreten. Nach all den Verbrechen der Osmanen in der Region präsentieren gewisse Leute sie heute als Beschützer des Islam. Und nun sagen die Neo-Osmanen, dass sie die Grösse der muslimischen Gemeinschaft (Umma) wiederherstellen werden. Wir mussten darauf antworten.»
Eskaliert ist die Rivalität zwischen der Türkei und ihren Gegenspielern während des Arabischen Frühlings im Jahr 2011. Die Türkei und das arabische Golfemirat Katar unterstützten zu dieser Zeit Gruppen aus dem ideologischen Umfeld der Muslimbrüder – und tun es bis heute. Arabische Gegner der Volksaufstände formierten sich unterdessen zu einer Art «gegenrevolutionären Front», welche heute Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Bahrain sowie Partner in Libyen und im Jemen umfasst. Diese Allianz richtet sich gegen Islamisten sowie generell gegen alle, die sich für politische Partizipation einsetzen oder die etablierten Regimes in Frage stellen. Das ist allerdings nicht der Grund für die Rivalität, sondern das jeweilige Verhältnis zu den Muslimbruderschaften.
In Ägypten bildeten die Muslimbrüder nach dem Sturz des Autokraten Hosni Mubarak die erste demokratisch gewählte Regierung. Sie waren nicht unbedingt die treibende Kraft im Arabischen Frühling, aber sie waren von allen Gruppen am besten organisiert. 2013 wurden sie von der Armee gestürzt. Als sich die Türkei und Katar gegen den Putsch stellten, intensivierte sich die geopolitische Rivalität in der Region: Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützten den ägyptischen Putsch gegen die Muslimbrüder. Seither haben sich ihre Beziehungen wie auch jene Ägyptens zur Türkei massiv verschlechtert – was allerdings nichts an der schon lange bestehenden Popularität türkischer Serien im arabischen Raum änderte und die arabischen Medien zwang, die Serie «Ertuğrul» intensiv zu thematisieren.
Politisierte Serien, politisierte Diskussion
Innerhalb der arabischen Welt verliefen manche Diskussionen um die Serie «Ertuğrul» entlang politischer Fronten. So verbot der stellvertretende Chef der salafistischen «Nour»-Partei Ägyptens, Yasser Al-Borhamy, seiner Anhängerschaft mit einer Fatwa das Schauen der Serie. Er kritisierte, die Serie propagiere eine Wiederbelebung der türkischen Regionalmacht und vermittle unislamische Werte, etwa durch Figuren wie Ibn al-‘Arabi; Salafisten lehnen dessen mystisches Islam-Verständnis ab.
Der ägyptische Blogger Mustafa al-Badri hat zwar ebenfalls einen salafistischen Hintergrund, vertrat jedoch in seiner Kolumne auf dem von Katar finanzierten Portal Al-Jazeera die Ansicht, dass Ertuğrul eine Art von islamischer Gerechtigkeit repräsentiere, die es nach dem Ende des Osmanischen Reiches im Nahen Osten nicht mehr gegeben habe. Die Dramaturgie der Serie verwebe gekonnt eine historische Handlung mit dem gegenwärtigen Ringen um die Errichtung einer gerechten Ordnung in der Region, schrieb er. Badri gehört notabene zur «Salafistischen Front», die sich 2013 gegen den ägyptischen Militärputsch stellte, während die Nour-Partei von Yasser Al-Borhamy 2013 den Putsch von General Abdelfatah al-Sisi gegen die Regierung der Muslimbrüder unterstützt hatte. Die gegensätzlichen Ansichten der beiden Salafisten über die türkische Serie steht insofern im Einklang mit ihren Sympathien für gegensätzliche politische Lager – repräsentiert durch die Türkei und Katar einerseits, und durch Saudi-Arabien, die Emirate und Ägypten andererseits.
Ein alter Streit, neu aufgeladen
«Königreiche des Feuers», die Antwort auf «Ertuğrul», hat eine klare Agenda, die vor dem Hintergrund dieser Rivalitäten zu verstehen ist: es geht um die Darstellung der tyrannischen Herrschaft der Osmanen in arabischen Ländern, wie die Drehbuchautoren und Produzenten angaben. Die Darstellung der osmanischen Herrschaft als Tyrannei ist im arabischen Raum eigentlich nicht neu, denn nach dem Ende des Osmanischen Reiches und der Entstehung der Nationalstaaten Anfang des 20. Jahrhunderts waren die türkisch-arabischen Beziehungen in der Politik während Jahrzehnten durch gegenseitiges Misstrauen und Abstand gekennzeichnet. Das hing damit zusammen, dass manche arabischen Nationalisten im ersten Weltkrieg auf der Seite der Entente-Mächte gegen ihre osmanischen Herrscher gekämpft hatten, was von osmanischer Seite als Verrat empfunden wurde. Umgekehrt war die Idee der Emanzipation von der osmanischen Herrschaft zentral für die Identitätsbildung der neuen arabischen Staaten, welche aus dem zerfallenen Osmanischen Reich entstehen sollten. Das widerspiegelte sich auch in der Geschichtsschreibung auf beiden Seiten, einschliesslich in den Schulbüchern.
Doch mit der zunehmenden Popularität türkischer Serien in der arabischen Welt ab Mitte der 2000er-Jahre erscheint das Osmanische Reich wieder in einem neuen Licht. Zugleich steht die Frage der historischen Bewertung des Osmanischen Reiches auch heute wieder im Zentrum aktueller politischer Auseinandersetzungen. Angesichts der global zunehmenden Popularität des Mediums der Fernsehserien war es deshalb nur eine Frage der Zeit, bis arabische Serienproduktionen der türkischen Konkurrenz etwas entgegenhalten würden. Es bleibt abzuwarten, ob eine türkische Replik auf die «Königreiche des Feuers» eine neue Runde dieses «Game of Series» einläuten wird.
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1 Das Zitat stammt von Said Nursi (1877-1960) einem einflussreichen islamischen Gelehrten. Die Gülen Bewegung, mit der sich die AKP-Regierung ab 2013 verworfen hat, ist aus Nursis Kreis hervorgegangen.
Bildquelle: Toplumsal Tarih, Juni 2019, Nummer 306 (“Die Historien-Serien der Neuen Türkei”) Zeichnung auf der Titelseite: Tunç Küçükaslan, www.tarihvakfi.org
Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Post-Doc-Projekt «New Ottomanism? Turkish Historical Television Drama and their Impact in the Arab World», welches der Autor am Seminar für Nahoststudien der Universität Basel bearbeitet, und wird in Kooperation mit dem Online-Magazin «Geschichte der Gegenwart» publiziert. Die Publikation ist Teil eines Pilotprojektes für Wissenschaftskommunikation der SGMOIK. Die ehemalige Nahostkorrespondentin Monika Bolliger betreut in diesem Rahmen AkademikerInnen beim Verfassen journalistischer Texte über Themen ihrer Forschung.