Symposium 2010

Symposium 2010

CALL FOR PAPERS
SYMPOSIUM der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft
6. 7. 8. Mai 2010
Lausanne, Schweiz
im Centre Hospitalier Universitaire Vaudois (CHUV)

THEMA:
GESUNDHEIT | JUSTIZ | MACHT

Termin: 15. März 2010
Elektronisches Format: 1 A4-Seite Maximum
Dauer des Beitrages: 20 Minuten
Vorschläge sind zu schicken an: ssph2010@gmail.com

Keynote speakers:
Pierre-Yves Maillard, Emmanuel Hirsch, Marcela Iacub, Frédérick Keck, Patrick Lagadec, Bernard Edelman

Wissenschaftliches Komitee:
Dr. Thémélis Diamantis, Präsident des wissenschaftliches Komitees
Christophe Calame, Präsident der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft
Prof. Dr. Lazare Benaroyo, Leiter der Ethikeinheit im CHUV
Prof. Dr. Jacques Gasser, Leiter der Geisteswissenschaftskommission an der Fakultät für Biologie und Medizin, Universität Lausanne (UNIL)
Prof. Dr. Jean-Bernard Daeppen, Leiter des Behandlungszentrums für Alkohologie
Dr. Alain Kaufmann, Leiter des Interface Wissenschaft-Gesellschaft der UNIL
Dr. Hugues Poltier, MER an der Sektion für Philosophie der UNIL
Dr. Michel Vanni, Unterrichter in Philosophie
Corinne Noth, Beigeordnete an der medizinischen Leitung vom CHUV
Philip Clark, Vizepräsident der Gruppe Waadt der schweizerischen philosophischen Gesellschaft
Gabriel Dorthe, Vizepräsident der Gruppe Waadt der schweizerischen philosophischen Gesellschaft

Das Symposium wird in Zusammenarbeit veranstaltet mit:
•    Das akademische Hospitalzentrum des Kantons Waadt (Centre Hospitalier Universitaire Vaudois: CHUV)
•    Die Geisteswissenschaftskommission an der Fakultät für Biologie und Medizin der Universität Lausanne
•    Interface Wissenschaft-Gesellschaft der Universität Lausanne

Veröffentlichung:
Die ausgewählten Beiträge werden in der Studia philosophica veröffentlicht: Zeitschrift der Schweizerischen Philosophischen Gesellschaft.

Argument:
Der technische Fortschritt der letzten Jahre − aber im besonderen durch diese neuen Techniken getragene Vorstellungen und denkbaren Möglichkeiten − bewirkt eine wesentliche Verschiebung dessen, was man bisher als Grenzen des Menschseins betrachtet hat. In Zukunft sind in den Bereichen von Geburt und Tod Interventionen möglich, welche das Gewicht des Schicksals, das diese beiden Begriffe bis heute beinhaltet haben, bleibend verändern. Die Perspektive einer bis in die Ewigkeit dauernden Gesundheit des Körpers ist nicht mehr eine reine Chimäre. Die Identität selbst des menschlichen Subjekts kann Transformationen erfahren, welche die menschliche Begrenzung immer weiter ausdehnen. Eine solche Erweiterung bewirkt aber auch Veränderungen im Bereich derjenigen Institutionen, welche den Auftrag haben, eben diese Grenzen zu bestimmen und zu kontrollieren. Politische und juristische Instanzen müssen das Feld ihrer Anwendung neu bestimmen, um Auswirkungen und Risiken für die Bevölkerung unter Kontrolle zu halten.
Ziel dieses Symposiums wird es sein, an der Drehscheibe zwischen Gesundheit, Justiz und Macht, die Gesamtheit jener Praktiken zu befragen, welche durch diesen Verschiebungen bewirkt werden. Es kann sich nicht darum handeln, diesen Praktiken reaktiv eine hypothetische menschliche Essenz, welche nicht überschritten werden darf, gegenüber zustellen, sondern die Reflexion auf eine Ebene zu heben, die solcher Herausforderung entspricht.
Das Symposium wird aus drei parallel geführten Seminaren bestehen, die dazu bestimmt sind, die Thematik aus drei verschiedenen, untereinander verknüpften Blickwinkeln anzugehen. Die fundamentale Problemstellung ist dabei die gegebenen Möglichkeiten des Menschen sich selbst radikal in seinem Körper, seinen Institutionen und Gesetzen neu zu gestalten.
Ein halber Tag wird unter Mitarbeit mit der Geisteswissenschaftskommission an der Fakultät für Biologie und Medizin der Universität Lausanne veranstaltet. Es wird aus einer Diskussion über Heilspraktiken zwischen Kliniker und Philosophen bestehen.

I. VERÄNDERUNG DER KÖRPER:
Kennt Medizin überhaupt Grenzen? Diese sind  heutzutage zweifelsohne in Bewegung, und zwar in Richtung der kartesischen Perspektive einer vollständigen Mechanisierung des menschlichen Körpers, und damit auch einer unendlich fortsetzbare Reparatur bis zur Hypothese der Unsterblichkeit. Wird die medizinische Technik zu einer weiteren Fusion von Artefakt und Lebewesen führen? Wird dem Übermenschlichen des "furchtbaren 20ten Jahrhunderts" das Transhumane des 21ten Jahrhunderts folgen? Diese Fragen betreffen im übrigen nicht nur den Menschen allein, sondern alle Lebewesen in den vielseitigen, vom Menschen aufgezwungen Beziehungen (man denke an das Beispiel des Rinderwahnsinn).

II. LOGIKEN DER MACHT:
Ist die medizinische Pflege eine Form von Macht? Die Globalisierung der Risiken und des Risikomanagements erzwingt neue Anforderungen an die institutionellen Strukturen und an Vertreter der Staaten. Wie sollen sie sich gegenüber klimatischen Veränderungen, Verschiebung von Bevölkerungen, neuen Pandemien, u.s.w. verhalten? Die Verantwortung für diese Risiken wie auch für die Körper selbst verlangt ein Umdefinieren der Rolle des Staates und seiner Möglichkeiten zu intervenieren und zu antizipieren. Welcher Maß an staatlichen Zwang werden die Bürger akzeptieren im Namen der Gesundheit und der Sicherheit?

III. RICHTIGKEIT DER GESETZE:
Welche Justiz brauchen wir, wenn der Zugang zur Pflege je nach Bevölkerungsgruppe verschieden ist? Die Problematik des Zugangs zur medizinischen Pflege stellt sich auf zwei Ebenen: einerseits bei der Konfrontation mit den Risiken, Katastrophen, Pandemien, u.s.w., andererseits angesichts der neuen Anforderungen an das Wohlbefinden, möglich geworden durch die Transformations- und Erzeugungstechniken (Schönheitschirurgie, künstliche Befruchtung, u.s.w.). Es geht darum, den Fortschritt und die daraus entstandenen neuen Verhältnisse in Gesetzen festzuhalten. Wieweit ist man bereit, solchen Anforderungen wie Mutterschaft im fortgeschrittenem Alter, Befruchtung mit dem Sperma eines toten Spenders, Wunsch nach einem Kind von homosexuellen Paaren oder drastische Transformation des Körpers durch Mitteln der Chirurgie nachzukommen, und welche gesetzlichen Bedingungen soll man ihnen auferlegen?

Die Medizin hat die Gesundheit lange durch das berühmte "Schweigen der Organe" definiert. Die klassische Biopolitik bestand darin, dieses Schweigen als etwas gutes zu behandeln: solange die Bevölkerung nicht stirbt und nicht leidet, hat der Staat, als Verwalter von Seelen und Gütern, seine Rolle erfüllt. Aber im Verlauf einer langen und irreversiblen Umkehrung  scheint unsere Gesellschaft neue Anforderungen zu stellen, welche das Aussehen des Einzelnen ebenso wie seine Performanz, das persönliche Leben ebenso wie die Organisation der Gemeinschaft betreffen. Nach dieser langen Stille sollen die Organe nun plötzlich sprechen, um nicht zu sagen "brüllen": im Sport wie in der Ernährung, in der Lust wie der Pflege, in der Verteilung der medizinischen Mittel und Ressourcen, bis zu Geburt und Tod.
Der Körper spricht wieder. Wie im Karneval wird er in der Öffentlichkeit in Szene gesetzt. Mehr als ein Körper zu sein, wollen wir heute einen Körper besitzen und unterhalten: trainiert,  massgeschneidert, tätowiert, überall durchbohrt, und bald umgestaltet dank neuer Errungenschaften der Neurologie und Genetik. Vielleicht wird der "gesündeste" Körper bald jener sein, welcher am meisten spricht, und der sein ganzes, vielleicht unbegrenztes Leben in seiner eigenen Substanz komprimiert. Es gilt einen solchen Ausdruck des Körpers und der Gesundheit an der Schnittstelle des philosophischen Denkens und jener Disziplinen, welche direkt in der Praxis engagiert sind, zu reflektieren.