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Brauchen wir neue Denkmäler? Auswertung der Denkmal-Umfrage

Christina Graf
Gesellschaft – Kultur – Sprache Recht und Politik

334 Personen haben sich in einer Umfrage der SAGW zu Schweizer Denkmälern und zum Umgang mit kontroversen Statuen geäussert. Nun liegt eine erste Auswertung vor.

An Historisches erinnern, informieren, zum Nachdenken anregen und den öffentlichen Raum verschönern: all diese Funktionen sollten Denkmäler erfüllen, fand eine Mehrheit der Befragten. Während sie die ästhetische Funktion noch am häufigsten ablehnten (20 %*), war die Zustimmung zur Erinnerungsfunktion wenig überraschend am höchsten (vgl. Abbildung 1).

Erfüllen Denkmäler diese Funktionen aber tatsächlich? Erinnern, informieren und Nachdenken setzen eine bewusste Wahrnehmung voraus. Hier zeigen sich die Befragten eher pessimistisch. Eine deutliche Mehrheit (78 %) geht davon aus, dass Denkmäler heutzutage für die meisten Menschen keine Bedeutung mehr haben. Entsprechend zweitgeteilt fällt auch die Antwort auf die Frage aus, ob Denkmäler in der heutigen Zeit eine gesellschaftlich wichtige Funktion erfüllen: Dem stimmte nur rund die Hälfte (55 %*) der Befragten zu. 

Wie können wir mit kontroversen Denkmälern umgehen?

Denkmäler sagen viel aus über die Gesellschaften, die sie erstellt haben. Sie stehen für die Deutung und künstlerische Gestaltung eines Sachverhalts – meist durch jene, die ihre Sichtweisen und Erfolge dominant in der Gesellschaft durchsetzen konnten. Gesellschaften und mit ihnen die Deutungen sowie ästhetisches Empfinden verändern sich, während Denkmäler meist bleiben, wie sie waren. Was soll mit Denkmälern geschehen, die ein Gedankengut vertreten, das heute gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert ist?

Wäre es angesichts der langen materiellen Lebensdauer beispielsweise sinnvoll, Denkmäler nach einer gewissen Zeit neu zu beurteilen – fast schon im Sinne eines Mindesthaltbarkeitsdatums? Diesem Vorschlag stimmt knapp die Hälfte der Befragten (49 %*) zu (N = 334). Klar ist hingegen für eine deutliche Mehrheit (83 %*): Denkmäler komplett aus dem öffentlichen Raum zu entfernen, ist keine Option. Am meisten Zustimmung findet die sanfte Lösung einer Plakette, welche die Problematik erläutert, aber das Denkmal nicht bedeutend verändert (vgl. Abbildung 2).

Gesamthaft scheinen die Befragten in Denkmal-Fragen jedoch eher konservativ: Knapp zwei Drittel der Befragten sind der Meinung, dass sie als Zeugen ihrer Zeit grundsätzlich unverändert stehen bleiben sollen. Dies legt nahe, dass sie Ergänzungen wie eine Tafel oder eine Plakette nicht zwingend als direkte Veränderung am Denkmal beurteilen.

Braucht es neue Denkmäler?

Ja! – findet zumindest eine Mehrheit (81 %*) der hier Befragten – solange diese die bestehenden ergänzen und nicht ersetzen. Diese Zustimmung drückt sich auch in den 479 Antworten auf die Frage aus, wer denn ein Denkmal verdient habe. Die Teilnehmenden konnten bis zu drei Personen, Personengruppen, Organisationen, Ereignisse, Ideen nennen. Unter anderem als denkmalwürdig beurteilen sie:

  • Pionierinnen der Frauenbewegung wie Anna Tumarkin, Eunice Newton Foote oder Christiane Brunner und überhaupt mehr Frauen (22x)
  • Forscherinnen und Erfinder (10x)
  • Denkmäler zur Corona-Pandemie (6x)
  • Verdingkinder und fremdplatzierte Kinder (5x)
  • Tiere (6x)
  • Sportler wie Roger Federer (9x), Didier Cuche (1x) oder Andy Hug (1x)
  • Ein «Monument des unbekannten Milizpolitikers» (1x).

Ebenfalls vertreten waren abstrakte Konzepte wie Frieden (3x), Migration (2x), «das Menschliche Wesen» («l’être humain») oder «die Institution Demokratie» sowie Personen(gruppen) des alltäglichen Lebens wie LKW-Fahrer, Lokführer, unbekannte Helfer, das Pflegepersonal, Menschen, die sich für sozial Benachteiligte einsetzen, Ärzte, Saisonarbeiterinnen und -arbeiter.

Die meisten Vorschläge bezogen sich auf Denkmäler für Einzelpersonen (46 %), gefolgt von Personengruppen (17 %), Ereignissen (14 %), Ideen oder Konzepten (12 %), Organisationen (7 %), Bewegungen (3 %) und Tieren (1 %). Allerdings war nicht immer eine trennscharfe Kategorisierung möglich, weshalb die Anteile eher einer Schätzung entsprechen.  

Liste mit allen Vorschlägen (PDF)

Und wer soll das entscheiden?

Für wen soll ein neues Denkmal errichtet werden, was soll mit umstrittenen Statuen geschehen?  Wer dies bestimmt, formt die Erinnerungskultur einer Gesellschaft und damit zu einem gewissen Grad ihre kollektive Identität mit. Umso wichtiger deshalb die Frage, wer bei Entscheiden zu Denkmälern mitwirken darf und soll. Dass dies nicht immer klar ist, zeigt das Denkmal für Köbi Kuhn in Zürich oder das aktuelle Ringen vieler Städte um Handlungsoptionen in der Denkmal-Debatte.

Eine – bislang selten genutzt – Möglichkeit ist der parlamentarische Weg. So hat sich im Juni 2021 der Ständerat für einen «offiziellen Schweizer Gedenkort für die Opfer des Nationalsozialismus» ausgesprochen. Geht es nach der Mehrheit der Umfrage-Teilnehmenden, sollen PolitikerInnen bei solchen Entscheiden aber nur eine beratende (45 %) oder gar keine Rolle (36 %) spielen (vgl. Abbildung 3). Ebenfalls beraten sollten WissenschaftlerInnen (71 %) und zivilgesellschaftliche Gruppen (69 %). Die Entscheidungskompetenz in Sachen Denkmäler soll hingegen in erster Linie bei den StimmbürgerInnen und zuständigen Ämtern und Behörden liegen. Gesamthaft scheinen die Befragten partizipative Entscheidungsprozesse zu favorisieren, zu denen vielfältige Stimmen beitragen: Bei jeder genannten Gruppe sprach sich nur eine Minderheit komplett gegen deren Einbezug aus.

Sind Denkmäler im Alltag präsent?

Ein Grossteil der Befragten bejaht dies für sich persönlich. 81 Prozent* gaben an, im Alltag Denkmälern zu begegnen und eine Mehrheit scheint auch zu wissen, wofür diese stehen (vgl. Abbildung 4). Dies mag einerseits daran liegen, dass die Befragten sich vergleichsweise stark für Denkmäler interessieren und ihnen deshalb viel Aufmerksamkeit schenken. Für das Wissen zu Denkmälern könnte auch das hohe Bildungsniveau der Teilnehmenden eine Rolle spielen (80 % verfügen über eine tertiäre Ausbildung) sowie der Umstand, dass rund 71 Prozent in einer Stadt oder einem grösseren Ort wohnen. Damit ist ihre Chance grösser, im Alltag regelmässig Denkmälern zu begegnen als Personen auf dem Land.

Wie zu erwarten war, weisen die Umfrageteilnehmenden insgesamt ein grosses und vermutlich überdurchschnittliches Interesse an Denkmälern auf: So gaben zwei Drittel an, spontan fünf oder mehr Schweizer Denkmäler nennen zu können, davon gut ein Drittel (36 %) sogar mehr als zehn (N = 334). Der Grossteil der Befragten (96 %*) hat zudem schon auf Reisen Denkmäler besucht und Fotos der Denkmäler per E-Mail, Handynachricht, soziale Medien etc. geteilt (71 %*, N = 331). Ein professioneller Bezug zu Denkmälern lässt sich anhand der Berufsbezeichnungen bei knapp 20 Prozent der Teilnehmenden vermuten bzw. bei 34 Prozent verneinen, wobei dies bei den restlichen 46 Prozent nicht ersichtlich ist (N = 300).

Der John Doe der Denkmal-Umfrage

334 Personen nahmen an der Umfrage teil, davon 60 an der französisch- und 274 an der deutschsprachigen. Ein Grossteil der Teilnehmenden (67 %) ist zwischen 20 und 59 Jahren alt, männlich (65 %) und kommt aus der Grossregion Zürich (24 %) oder dem Mittelland (24 %). Als zweithäufigste Altersgruppe folgen die über 60-Jährigen (23 %) und zuletzt die 18–29-Jährigen (10%). Keiner der Befragten war unter 18 Jahre alt (N = 301).

Somit weist der typische Teilnehmer der Denkmal-Umfrage folgende Eigenschaften auf: Er

  • ist männlich und zwischen 30 bis 60 Jahre alt,
  • spricht deutsch,
  • wohnt in einer Stadt in der Grossregion Zürich oder im Mittelland (vgl. Abbildung 5),
  • verfügt über einen tertiären Bildungsabschluss (höhere Berufsbildung, FH oder Hochschule),
  • kann spontan fünf oder mehr Denkmäler in der Schweiz nennen,
  • und besucht auf Reisen Denkmäler, von denen er Bilder macht und teilt.

Im Verhältnis zum Bevölkerungsanteil waren Teilnehmende aus den Grossregionen Zürich und Nordwestschweiz über-, aus der Genferseeregion und dem Tessin untervertreten. Über die Hälfte (52 %) wohnten zum Zeitpunkt der Befragung in einer Stadt, die anderen entweder auf dem Land (25 %) oder in einem grösseren Ort bzw. in der Agglomeration (19 %) (N = 301).

Weiter verfügen rund 80 Prozent über eine höhere Berufsbildung oder einen Hochschulabschluss, weitere zehn Prozent über eine gymnasiale oder eine Berufsmaturität sowie acht Prozent über eine Lehre oder einen Abschluss auf Sekundarstufe als höchsten abgeschlossenen Bildungsgrad (N = 300).

Was sagten die Befragten zur Umfrage?

Eine subjektive Auswahl von Originalkommentaren:

Sparsam mit Denkmälern. Es muss wirklich etwas Oberlichtes sein oder passieren, um ein Denkmal zu errichten. Es soll immer Erklärung dabei sein (ein Info). Auch die Schuldigen sollen genannt werden, falls zutrifft. Z.B. Flugzeugabsturz- Denkmal in Würenlingen nennt die Schuldigen nicht explizit.

Denkmäler zeigen uns historisch auf, was für Werte die früheren Gesellschaften gelebt haben. Darum sollten sie nicht entfernt werden, sie gehören zu uns und unserer Geschichte sowie der Kultur. Wir als Gesellschaft sollten ehrlich sein, was wir Gutes wie Schlechtes geschafft haben in der Geschichte.

Danke für die Initiative. Ich finde sie wichtig, weil wir mit der eigenen Geschichte umgehen müssen, auch wenn sie (wie meist) hässlich ist.

In der Umfrage vermute ich die Voraussetzung, dass es sich immer um materielle Denkmäler handelt. Diese finde ich heute unerwünscht. Bei immateriellen Denkmälern sieht es anders aus. Dazu fehlen Fragen.

Finde diese Thematik über bestehende Denkmäler total daneben. Wie kann aus heutiger Sicht das Denken und Handeln vor hundert Jahren verstehen. So betrachtet müsste man alle Zeitzeugen, griechische, römische und mittelalterliche Gebäude einreissen.

*Antwort-Anteile für «trifft zu» und «trifft eher zu» bzw. «trifft gar nicht zu» und «trifft eher nicht zu» wurden zusammengefasst.

Die Denkmal-Umfrage ist Teil des Webprojekts «Mal Denken!» der SAGW. Eine detailliertere Auswertung aller Fragen sowie die Rohdaten für die Weiterverwendung durch Dritte wird bis November auf www.denk-mal-denken.ch/umfrage aufgeschaltet.