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Welche Innovationen brauchen wir?

Heinz Nauer

Die Akademien wollen die soziale Innovation in der Forschungsförderung stärken.

«Es ist an der Zeit, dass sich die Geistes- und Sozialwissenschaften aus ihrer bisherigen reaktiven Rolle befreien und beginnen, Innovation proaktiv zu gestalten.» Dies schreibt Daniel Huber, ehemaliger Professor für Innovationsmanagement, in einem Gastbeitrag im neuen SAGW-Bulletin. Er sieht eine günstige Grosswetterlage für eine stärkere Profilierung der Geistes- und Sozialwissenschaften: Denn in der Schweizer Innovationslandschaft vollziehe sich gerade eine Verschiebung weg von der Realisierbarkeit von Funktionen (oder die Optimierung bestehender Produkte) hin zur Frage, welche Innovationen in der Gesellschaft überhaupt benötigt werden – und welche nicht.

Es geht um die grossen Fragen, wie wir leben wollen und wie eine Gesellschaft organisiert sein sollte, um den grossen Herausforderungen der Zeit zu begegnen. Was ist gesellschaftlich wünschbar, politisch akzeptiert, für die Zukunft erforderlich, ökologisch nachhaltig? Das Herausfinden des Was, so Huber, öffnet dabei ein Feld, auf dem die Geistes- und Sozialwissenschaften über ein grosses Potenzial verfügen.

Blinde Flecken in der Innovationsförderung

In der Innovationsförderung gibt es blinde Flecken. Einen davon benannte Norah Wilhelm, Mitgründerin der Initiative «Collaboratio helvetica» und Social Entrepreneur, 2020 an einem Round Table der SAGW mit der Suggestivfrage: Schaffen wir es, jene Dinge zu finanzieren, die wirklich innovativ sind? Nicht zuletzt die drängenden Fragen einer nachhaltigen Entwicklung und die anstehenden Transformationsprozesse erfordern ein Verständnis von Innovation, das nicht primär die finanzielle Wertschöpfung, sondern die Gesellschaft in ihrer Umwelt ins Zentrum rückt.

Ein besonderer Stellenwert kommt dabei den «sozialen Innovationen» zu: neue Lösungen, die auf gesellschaftliche Probleme und Bedürfnisse reagieren, aber ausserhalb von Forschungslabors und Technologieunternehmen entwickelt werden. Typische Beispiele dafür sind die Open-Source-Bewegungen, genossenschaftlich organisierte Sharing-Economy-Unternehmen, Mehrgenerationenhäuser und andere Formen des intergenerationellen Zusammenlebens, neuartige Private-Public-Partnerschaften wie die Social Impact Bonds oder in der Wissenschaft die transdisziplinäre Zusammenarbeit, die auch Laien miteinschliesst.

Stellungnahme der Akademien gegenüber Innosuisse

An sozialen Innovationen sind verschiedene Akteure beteiligt: Produzentinnen und Konsumenten, Profis und Laien, Nutzer und Experten, Forscherinnen und Designer. Diese Vielfalt verträgt sich schlecht mit den herkömmlichen Instrumentarien der Forschungs- und Innovationsförderung. Für Mischprojekte ist es ganz schwierig, in die traditionellen Fördergefässe hineinzukommen, sagte die Ökonomin und Innovationsforscherin Ingrid Kissling-Näf 2020 am SAGW-Roundtable.

In den rechtlichen Grundlagen von Innosuisse, der schweizerischen Agentur für Innovationsförderung, wird die soziale Innovation beispielsweise nicht explizit genannt. Die Akademien schlagen nun vor, soziale Innovation in der Beitragsverordnung von Innosuisse zu verankern und in deren Beurteilungskriterien stärker zu gewichten. So lauten die Kernanliegen ihrer am 15. Februar unterzeichneten Stellungnahme im Rahmen der Vernehmlassung «Totalrevision der Beitragsverordnung Innosuisse», die Innosuisse insgesamt mehr Flexibilität und Handlungsspielraum in ihrer Fördertätigkeit ermöglichen soll.

An der Ausarbeitung der Stellungnahme beteiligt waren das Forum Landschaft, Alpen, Pärke, das Forum Biodiversität und die Initiative für Nachhaltigkeitsforschung der Akademie der Naturwissenschaften, das Network for Transdisciplinary Research und die SAGW.

Beiträge zu Innovation werden oft nicht erkannt

Die Geistes- und Sozialwissenschaften galten bislang nicht gerade als Treiber des Innovationsgeschehens. Entsprechen profitieren sie auch wenig von den umfangreichen Programmen zur Innovationsförderung. So hielt eine im Auftrag der SAGW verfasste Studie 2018 fest: «Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind von der aktuellen Innovationsforschung durch Innosuisse nahezu ausgeschlossen.»

Und die Studie «L’apport des sciences humaines et sociales à l'innovation en Suisse», 2020 als Teil des Berichts «Forschung und Innovation in der Schweiz 2020» erschienen, machte deutlich, dass die Beiträge zu Innovation der Geistes- und Sozialwissenschaften, zu denen fast zwei Drittel der an Hochschulen erfassten Personen zu zählen sind, oft nicht erkannt oder nicht richtig wahrgenommen werden: So beruht beispielsweise das Design Thinking, eine der wichtigen Zugänge für die gemeinsame Entwicklung von Ideen, Praktiken und neuen Produkten, auf Methoden der Geistes- und Sozialwissenschaften, beispielsweise der teilnehmenden Beobachtung.

Literatur

Huber, Daniel und Henri Huber (2021): Innovation in Politik und Verwaltung, in: Swissfuture – Magazin für Zukunftsmonitoring 3+4, S. 28ff.

Huber, Daniel (2022): Welche Innovationen brauchen wir? Beiträge der Geistes- und Sozialwissenschaften, in: Zeit: Zugänge, Praktiken, Kulturen (Bulletin der SAGW 28,1), S. 8–11. https://doi.org/10.5281/zenodo.5748376

Jeannerat, Hugues et al. (2020): L’apport des sciences humaines et sociales à l‘innovation en Suisse. Étude dans le cadre du rapport «Recherche et innovation en Suisse 2020», Partie C, étude 2.

Schmidlin, Sabina (2018): Finanzierung von Forschung und Innovation durch den Bund ab 2008. Bericht im Auftrag der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (Swiss Academies Reports 13,3). https://doi.org/10.5281/zenodo.1475753

SAGW (2019): Soziale Innovation (Bulletin der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften 25,1). https://doi.org/10.5281/zenodo.2351089

SAGW (2020): Der Nachhaltige Staat | L'État durable (Bulletin 26,3). https://doi.org/10.5281/zenodo.4081535

Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (2020): Forschung und Innovation in der Schweiz 2020, (insbesondere S. 169–196), online: www.sbfi.admin.ch/f-i_bericht