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Konsum, Sorgenkind der Schweizer Nachhaltigkeitspolitik

Heinz Nauer
Nachhaltigkeit

Entwickelt sich die Schweiz in Richtung Nachhaltigkeit? Der Länderbericht 2022 stellt ihr ein gemischtes Zeugnis aus. Gerade beim Konsum zeigt sich Aufholbedarf.

Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung sind sich mehrheitlich einig: Ihr Weg muss zu einer nachhaltigen Entwicklung führen. Als Richtschnur breit akzeptiert ist die 2015 von der Uno verabschiedete Agenda 2030. Nun legt die Schweiz ihren zweiten Länderbericht zur Umsetzung vor. Der Bericht erscheint alle vier Jahre und zielt darauf ab, «die Umsetzungslücken selbstkritisch zu hinterfragen». Evaluieren will sich der Bund auch auf der neuen Website www.sdgital2030.ch. Dort werden seit Anfang Mai Einschätzungen zu jedem der 17 Nachhaltigkeitszielen und zu den 169 Unterzielen der Agenda 2030 veröffentlicht und laufend aktualisiert. An der Bestandesaufnahme beteiligten sich neben dem Bund auch Kantone und Gemeinden sowie Akteure aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft. Das Monitoring der Ziele und Vorgaben der Agenda 2030 im Schweizer Kontext erfolgt mit dem Indikatorensystem «Monet 2030» des Bundesamts für Statistik.

Schweiz: weniger Treibhausgase, mehr Siedlungsabfälle

Die Agenda 2030 ist auch für die SAGW ein wichtiger Referenzrahmen. Seit 2021 bearbeitet sie schwerpunktmässig das zwölfte Nachhaltigkeitsziel «Verantwortungsvoller Konsum und Produktion» (SDG 12). Das SDG 12 ist eines der Sorgenkinder in der Umsetzung der Agenda 2030 in der Schweiz.

Der Länderbericht stellt der Schweiz punkto dem SDG 12 denn auch ein gemischtes Zeugnis aus: So sind zwar der Treibhausgas-Fussabdruck pro Person (–22 Prozent, Abb. 1) und der Material-Fussabdruck pro Person (–8 Prozent, Abb. 2) zwischen 2000 und 2019 gesunken. Die Siedlungsabfälle (Abb. 3) hingegen haben im selben Zeitraum jedoch um 29 Prozent zugenommen (bei einer Bevölkerungszunahme von 20 Prozent). Eine der Schlussfolgerungen im Bericht: «Trotz Effizienzgewinnen ist die Schweiz heute weit entfernt von einer nachhaltigen Ressourcennutzung.»

Begleitgruppe Agenda 2030 übt Kritik am Länderbericht

Die 2015 vom Bund eingesetzte Begleitgruppe Agenda 2030, bestehend aus Vertreter·innen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, spart nicht mit Kritik am Länderbericht. «Generell hat die Begleitgruppe den Eindruck, dass das Verbuchen von Leistungen mehr, das Auflisten von Herausforderungen weniger gemacht wird», kommentiert sie. Es sei auf dieser Basis kaum einzuschätzen, ob die Schweiz bei den einzelnen Zielen auf Kurs sei oder nicht. Zudem sei die Agenda 2030 «in der Politik kaum angekommen» und werde im Parlament wenig diskutiert.

Forschungsnetzwerk zu nachhaltigem Konsum

Der Länderbericht und seine Begleitpublikationen machen deutlich, dass technologische Lösungen allein nicht genügen, um bis 2030 die Nachhaltigkeitsziele in Konsum und Produktion zu erreichen. So schätzen der Bund und 17 weitere Akteure denn auch das Unterziel 12.8 «Das allgemeine Bewusstsein für nachhaltige Lebensstile fördern» als wichtig und dringend ein. Die Geistes- und Sozialwissenschaften können gerade zu diesem Punkt, beim Wandel von Lebensstilen und Mentalitäten, wesentlich beitragen. Etwa indem sie nachhaltige Handlungen nicht als individuelle Entscheide, sondern als soziale Praktiken analysieren und so Grundlagen liefern für Änderungsinterventionen, oder indem sie die Vereinbarkeit von Massnahmen mit den Institutionen der (direkten) Demokratie reflektieren. Die SAGW machte 2021 eine erste Auslegeordnung von Beiträgen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften und publizierte das Dossier «Konsum: auf dem Weg zu einer nachhaltigen Transformation?»

Die SAGW baut ein Netzwerk von Forschenden aus den Geistes- und Sozialwissenschaften auf, die sich für das Thema des nachhaltigen Konsums interessieren oder bereits dazu forschen. Falls Sie Teil dieses Netzwerkes werden möchten, melden Sie sich bei Elodie Lopez, wissenschaftliche Mitarbeiterin bei der SAGW (elodie.lopez(at)sagw.ch) und abonnieren Sie den «Infoletter Konsum».

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