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Gegen Windmühlen kämpfen und Brücken bauen – 75 Jahre SAGW

Was konnte die Akademie in den letzten 75 Jahren erreichen – und was nicht? Antworten gab eine Podiumsdiskussion am 3. Dezember.

«Was trägt Ihre Disziplin zu einer ‹besseren Welt 2030› bei?» Diese Frage stellt die SAGW in einer Video-Serie zu ihrem 75-Jahr-Jubiläum Forscherinnen und Forscher aus den Geistes- und Sozialwissenschaften (die bislang neunstimmige Antwort gibt es hier). In der Frage schwingt leise eine Kritik oder doch mindestens eine Unsicherheit mit, welche die Geistes- und Sozialwissenschaften seit jeher begleitet: Sie lässt sich mit den Stichworten übertriebene Spezialisierung, abseitige Themen und überhaupt mangelnde gesellschaftliche Relevanz und ökonomische Verwertbarkeit umreissen.

Die Frage nach dem praktischen Nutzen und Impact der Geisteswissenschaften zieht sich denn auch wie ein roter Faden durch die Geschichte der SAGW seit ihrer Gründung als «Schweizerische Geisteswissenschaftliche Gesellschaft» im Jahr 1946. Dies lässt sich – neben vielen anderen Strängen, Ereignissen und Entwicklungen aus der Akademiengeschichte – in der Ende November bei Schwabe erschienenen Jubiläumsgeschichte «Zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik – 75 Jahre Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften» nachlesen.

Die Buchpublikation war Anlass für eine Podiumsdiskussion am 3. Dezember. Mit Blick auf das Motto «Vernetzen – Vermitteln – Fördern» fragten wir ...

Was konnte die SAGW in den letzten 75 Jahren erreichen – und was nicht?

    Antworten in sechs Kapiteln, vier Videostatements und elf Zitaten

    • Die schwierigen Anfänge
    • Kontinuität und langfristige Infrastrukturen
    • Brücken bauen zwischen den Geistes- und Sozialwissenschaften
    • Transdisziplinäre Zusammenarbeit
    • Kampf gegen Windmühlen
    • Kampf um Aufmerksamkeit

    Die schwierigen Anfänge

    Monika Gisler, Historikerin und Autorin der SAGW-Jubiläumsschrift

    Lange Zeit waren die Geistes- und Sozialwissenschaften reduziert auf denkende Einzelpersonen, die nicht gewohnt waren, […] sich zu formieren als Interessengruppen und zusammenzuarbeiten.

    Dieter Imboden, ehemaliger Präsident des Schweizerischen Nationalfonds

    Kontinuität und langfristige Infrastrukturen

    Man kam auch zur Erkenntnis, dass Sozialwissenschaften eine Infrastruktur brauchen und nicht nur Professuren an den Universitäten – also etwa Datensammlungen, auf die man zurückgreifen kann etc. Für die Naturwissenschaften war das alles klar, aber bei den Geistes- und Sozialwissenschaften war das ein ganz neuer Gedanke.

    Wolf Linder, ehemaliges Mitglied im Vorstand der SAGW, SNF-Forschungsrat und im Schweizerischen Wissenschaftsrat

    Ich sehe wieviel Energie in jeden Vierjahresantrag läuft, in jede dieser Aktionen, bei denen man wieder sagen muss: «Übrigens, uns gibt es auch noch!» […] Ich wünsche der SAGW, dass dieser Punkt der Grundverteidigung überwunden wird. [...] Dass die Energie, die da heute reinfliesst in produktives Weitergehen fliessen darf.

    Rahel Ackermann, Leiterin Inventar der Fundmünzen der Schweiz

    Qu’est-ce que nous souhaitons? De la sérénité, une institution qui ne soit pas bousculée par des politiques chaotiques mais qui assurent une certaine continuité, notamment dans nos infrastructures […]. On doit pouvoir envisager la pérennité des entreprises.

    SAGW-Präsident Jean-Jacques Aubert über seine Wünsche für die Zukunft

    Brücken bauen zwischen den Geistes- und Sozialwissenschaften

    Die SAGW war klar dominiert von den Geisteswissenschaften. Es war fast schon ein Erdbeben, als die Sozialwissenschaften in den Namen der SAGW aufgenommen wurden, wobei das zunächst ein rein symbolischer Akt war. Wenn man sagt, die 1990er-Jahre seien ein Jahrzehnt der Sozialwissenschaften gewesen, stimmt das nur insofern, dass sie damals bei der Akademie mit den Geisteswissenschaften gleichzogen.

    René Levy, ehemaliges Mitglied im Vorstand der SAGW

    im Zeitzeugen-Interview auf die Frage, welche Rolle die SAGW bei der Institutionalisierung der Sozialwissenschaften spielte

    Eindrücklich sind die Publikationen und Podien, mit denen die Akademie Geisteswissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler miteinander ins Gespräch gebracht und Brücken zwischen Universität und Gesellschaft gebaut hat.

    Urs Hafner, Wissenschaftsjournalist und Historiker

    Transdisziplinäre Zusammenarbeit

    Ich stelle fest, in den Naturwissenschaften ist die Tradition des Transdisziplinären schon längst eine gefestigte, in den Geistes- und Sozialwissenschaften ist es noch nicht so weit.

    Wolf Linder, ehemaliges Mitglied des Schweizerischen Wissenschaftsrats, des Vorstands der SAGW und des Forschungsrats des SNF

    Kampf gegen Windmühlen

    Sozial- und Geisteswissenschaften werden immer noch als Hilfswissenschaften angeschaut – das zu ändern ist zwar kein Kampf gegen Windmühlen, aber nahezu.

    Wolf Linder

    Wenn die Akademie der immer weiter um sich greifenden Projektifizierung und «Wettbewerbisierung» der Forschung den Kampf ansagt – und das tut sie –, erinnert sie ein wenig an Don Quijote, der gegen die Windmühlen anritt.

    Urs Hafner

    Ringen um Aufmerksamkeit

    Es bedurfte zahlreicher Anstrengungen, um Sinn und Zweck der Geistes- und Sozialwissenschaften wirkmächtig zu vermitteln. Diese Stimme dürfte dabei durchaus noch lauter werden, die Akademie noch überzeugender auftreten, um sich so für ihre ureigene Sache der öffentlichen Meinungsbildung stark zu machen.

    Monika Gisler

    Ich wünsche mir, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften in der Verbreitung ihrer Dinge so gut werden wie die Naturwissenschaften, oder noch besser, wie die angelsächsischen Naturwissenschaften, die einfach immer spannende Publikationen haben und mehr Aufmerksamkeit erzielen.

    Wolf Linder

    Ich wünsche ihr die Reflexion und Weisheit der Philosophie in Kombination mit der selbstbewussten Frechheit der Naturwissenschaften – und das alles, um den Mut zu haben gegenüber der Öffentlichkeit dann ihre Stimme zu erheben, wenn sie etwas zu sagen hat.

    Dieter Imboden

    auf die Frage, was er der SAGW für die nächsten 25 Jahre wünsche

    Die ganze Podiumsdiskussion zum Nachschauen

    Dokumente, Referenzen, Links

    75 Jahre SAGW: Was konnte die SAGW erreichen – und was nicht?: Veranstaltungsprogramm

    Gisler, Monika (2021): Zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik – 75 Jahre Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. Unter Mitwirkung von Samuel Amstutz, Christian Leder und Mitarbeitenden des Center for Higher Education and Science Studies der Universität Zürich, Schwabe Verlag, Basel. https://doi.org/10.24894/978-3-7965-4421-7

    Hafner, Urs (2021): Rezension zu: Monika Gisler: Zwischen Wissenschaft, Gesellschaft und Politik. 75 Jahre Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, Basel 2021. Zuerst erschienen in: SAGW (2021): Edieren: Geisteswissenschaften im digitalen Wandel Éditer: les sciences humaines en mutation (Bulletin der Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften 27,3). https://doi.org/10.5281/zenodo.5716099

    Tomczak, Astrid: «Ich kann der Nutzendiskussion wenig abgewinnen», Interview mit Wolf Linder, 18. November 2021, online unter www.akademien-schweiz.ch.

    Zeitzeugen-Gespräch mit René Levy, online unter: www.sagw.ch/75-Jahre