Erläutert man Aussenstehenden den wissenschaftlichen Publikationsbetrieb, erntet man häufig staunenden Unglauben. Zu Recht. Die gelebte Praxis lässt sich aus gesellschaftlicher Sicht wie folgt beschreiben: Die Öffentlichkeit bezahlt zweimal, erst Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre Forschung und dann private Verlage, um die Ergebnisse einsehen zu können.
Das Kuriosum ist damit begründet, dass Forscherinnen und Forscher, die eine Arbeit publizieren möchten, in aller Regel weitreichende Rechte an den Verlag, der ihre Arbeit veröffentlicht, abtreten müssen. Alternativen gibt es oft nicht.
Ein grotesk gutes Geschäft für die grossen Wissenschaftsverlage
Die Folge ist, dass Schweizer Universitäten jedes Jahr Millionen bezahlen, um diese Studien wieder einsehen zu können – 22,4 Millionen Franken allein an die drei grössten Wissenschaftsverlage Elsevier, Springer und Wiley, die zusammen einen Marktanteil von rund 40 Prozent vereinen. Digital verfügbar sind die meisten «Veröffentlichungen» (die Anführungszeichen sind bewusst gesetzt) aber selbst dann nur für Angehörige der beteiligten Universitäten und nicht für die breite Öffentlichkeit, welche die Erstellung der Arbeiten in den meisten Fällen mit Steuergeldern finanziert hat. Dass auch der wissenschaftliche Begutachtungsprozess einer Publikation meist unentgeltlich von öffentlich finanzierten WissenschaftlerInnen geleistet wird, sei hier gar nicht weiter diskutiert. Für die privaten Verlage ist dies alles ein grotesk erträgliches Geschäft: Elsevier beispielsweise hat gemäss aktuellem Jahresbericht 2020 (S. 14–17) einen Umsatz von 2,69 Milliarden Pfund und einen operativen Gewinn in Höhe von 1,02 Milliarden erwirtschaftet.
Dieser Missstand ist keine neue Erkenntnis. Seit 2017 existiert in der Schweiz eine nationale Strategie, um bis 2024 sämtliche neue wissenschaftliche Publikationen, die aus öffentlicher Förderung stammen, per Open Access für alle Menschen verfügbar zu machen. Das ist ein Schritt nach vorne. Allerdings: Verlage erheben für Kosten und entgangene Verkaufserlöse häufig eine stattliche Gebühr. Je nach Zeitschrift kann diese pro Publikation mehrere Tausend Franken betragen. Es wird argumentiert, dass die Umstellung auf Open Access in der Schweiz kostenneutral sein wird. Aber warum im Wissenschaftsbetrieb private Gewinne subventioniert werden sollen, ist unklar.
Schwierige Transformation des Publikationswesens
Selbstverständlich sind Verlagsdienstleistungen wie Lektorat (sofern es eines gibt), Layout-Arbeiten, Hosting oder Druck mit Aufwand, Expertise und Kosten verbunden. Verlage drücken diese Kosten meist, indem sie grosse Teile der Belegschaft in Billiglohnländer (zum Beispiel Indien) ausgelagert haben.
Ein Lösungsansatz könnte sein, anstatt Verlagen hierfür weiterhin Gebühren zu zahlen, notwendige Strukturen – oder Teile davon – an Universitätsbibliotheken oder bei Fachgesellschaften aufzubauen und Zeitschriften gemeinnützig herauszugeben oder solche Vorhaben zumindest zu unterstützen. Eine Transformation dieser Art dauert, etliche Hindernisse sind zu bewältigen, Kooperationen und internationaler Wille sind notwendig. Aber langfristig würden ausser die grossen Wissenschaftsverlage alle davon profitieren – nicht zuletzt die Wissenschaft selbst, die sichtbarer und zugänglicher würde. Erste Beispiele, die in diese Richtung gehen gibt es bereits; das Hauptbibliothek Open Publishing Environment (HOPE) der Universität Zürich ist eines davon. In Zukunft wird man auf das heutige Publikationssystem zurückblicken und es nicht mehr nachvollziehen können.
Dieser Text erscheint in ähnlicher Form als Kolumne «Das letzte Wort» im SAGW-Bulletin 2/2021.
Zum Autor
Michael Reiss ist Doktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der Universität Zürich. In seiner Forschung befasst er sich mit Fragen an der Schnittstelle zwischen Internet und Gesellschaft, insbesondere mit Nachrichtennutzung und der gesellschaftlichen Relevanz von Algorithmen.
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