Ein Konsortium der Geistes- und Sozialwissenschaften für die SDGs
Beatrice Kübli
Am 27. Januar 2020 trafen sich in Bern auf Einladung der SAGW rund 30 Expertinnen und Experten, um sich zu den SDG-Themen auszutauschen. Das Fazit war klar: Die Geistes- und Sozialwissenschaften müssen sich koordinieren und sich für eine nachhaltige Gesellschaft stark machen.
Der 2018 veröffentlichte Länderbericht zur UNO-Agenda 2030 zeigt, dass die Schweiz unter anderem beim nachhaltigen Konsum und bei der Gleichstellung ihre Ziele noch nicht erreicht hat. Hier und auch an anderen Stellen ist geistes- und sozialwissenschaftliche Expertise gefragt. (Siehe auch Blog-Beitrag "Neue Werte und Geschichten für eine nachhaltige Gesellschaft")
Austausch und Vernetzung
Die Geistes- und Sozialwissenschaften sind im Bereich der SDG zwar aktiv, aber noch wenig koordiniert. Ende 2019 lancierte die SAGW bei ihren Fachgesellschaften einen Call für SDG-Projekte. Zwölf Projekte wurden bewilligt. Am 27. Januar 2020 trafen sich die Projektleiterinnen und -leiter gemeinsam mit SDG-Expertinnen und -Experten und weiteren Interessierten zu einem ersten Austausch.
Handlungsbedarf bei sozialen Themen
Daniel Dubas, der Delegierte des Bundesrates für die Agenda 2030 und Sektionschef Nachhaltige Entwicklung ARE, präsentierte zu Beginn die gegenwärtige Situation. Die Strategie Nachhaltige Entwicklung liefert die Basis, um die SDGs in den Bundesämtern stärker einzubinden. Der Fokus liegt vor allem auf jenen Bereichen, wo es einen grossen Handlungs- und Abstimmungsbedarf gibt. Zurzeit sind dies «Konsum und Produktion», «Klima, Biodiversität und Energie» und «Chancengleichheit». In jeder Transformation gibt es Gewinner und Verlierer, aber niemand soll ausgeschlossen werden. Der soziale Aspekt ist denn auch Thema der 33. Tagung des Forums Nachhaltige Entwicklung am 5. Mai 2020 in Bern: «Leave no one behind».
SDGs messbar machen
Um Fortschritt und Handlungsbedarf zu erkennen, müssen die Ziele messbar gemacht werden. Welche Indikatoren dafür festgelegt wurden, erklärte André de Montmollin vom Bundesamt für Statistik (BfS). Das BfS nutzt hierzu das MONET 2030- Indikatorensystem, das sich auf den Brundtland-Bericht stützt. Eine besondere Herausforderung zeigte sich darin, dass nicht alle für die Schweiz relevanten Nachhaltigkeitsthemen in den SDGs abgebildet werden. Beispielsweise fehlen bei den SDGs die Themen soziale Kohäsion, Kultur und Mobilität. Inzwischen konnten aber Indikatoren gefunden werden, mit denen sich auch diese Themen messen lassen. Eine detaillierte Beschreibung der 23 Schlüsselindikatoren befindet sich online. Mit der «Road to Bern», welche mit einer Reihe von Veranstaltungen auf das United Nations World Data Forum 2020 (UNWDF) vorbereitet, unterstützt das BfS die Umsetzung der Agenda 2030 in der Schweiz.
SDG-Themenschwerpunkte der Akademien der Wissenschaften Schweiz
Auch die Akademien der Wissenschaften Schweiz befassen sich mit den SDGs. Sie haben fünf «Priority Topics» identifiziert: «Agriculture for people and planet», «Thriving spaces», «Net zero Switzerland» und «Values, visions and pathways». Gabriela Wülser, die Projektleiterin der Initiative für Nachhaltigkeitsforschung, erklärte den Prozess. Anspruchsvoll war das Clustern der verschiedenen Themen. Hier zeigte sich, wie stark vernetzt die verschiedenen Unterziele der Agenda 2030 doch sind. Es gibt viele denkbare Möglichkeiten, sie zu Themenclustern zusammenzufassen. Letztlich gehe es auch nicht nur um die SDGs. «Zur Sicherung der Nachhaltigkeit müssen wir über die Agenda 2030 hinausdenken», so Wülser. «Wir brauchen neue Narrative.»
Vision einer nachhaltigen Gesellschaft
In der anschliessenden Diskussion ging es zunächst um die Frage, was mit einer solchen Forschungsagenda letztlich erreicht werden soll. «Wir möchten versuchen das zu tun, was es braucht», erklärt Wülser. Ein Problem ortete das Publikum in den Forschungsparadigmen: Die Wissenschaft ist unterteilt in Grundlagenforschung und angewandte Forschung, wobei letztere vor allem dazu dient, den Wirtschaftsplatz Schweiz zu stärken. Dabei funktionieren ökonomische Anreize nicht immer. Oftmals zählen Werthaltungen mehr. So zeigte eine Studie, dass beim Stromsparen sozialer Druck effektiver ist als finanzielle Anreize. «Etwas, das bisher noch fehlt, ist der Versuch, ein Gesamtbild zu schaffen», stellte Urs Neu, der stv. Geschäftsleiter von ProClim fest. «Wie sieht eine Gesellschaft aus, welche die Agenda 2030 umgesetzt hat? Es braucht eine Vorstellung davon, was man erreichen will, und wie man dort hinkommt. Unter 169 Einzelzielen kann sich niemand etwas vorstellen.»