Ein Bild mit Schienen und ganz vielen Weichen. So wird das schweizerische Bildungssystem gerne präsentiert. Egal welcher Bildungsweg gewählt wird, es gibt immer einen Weg, ein Verbindungsstück auf eine andere Schiene. Wer einen Tertiärabschluss anstrebt, muss nicht zwangsläufig ein Gymnasium besuchen. Eine Berufsmatur – ob zeitgleich mit der Lehre absolviert oder im Anschluss – öffnet den Zugang zu den Fachhochschulen. Diesem Weg kommt eine wichtige Rolle zu: Für die Jugendlichen ist es attraktiv, eine Matura zu machen und dennoch bereits Geld zu verdienen und in der Praxis zu arbeiten. Zudem wird die gymnasiale Maturaquote in der Schweiz bildungspolitisch gesteuert und bewegt sich – je nach Kanton – so um die 20%. Konkret heisst das, dass gute Noten nicht in jedem Jahrgang und in jedem Kanton gut genug sind. Auch hier ist die Berufsmatur eine gute Alternative. Theoretisch. Praktisch kommt es auf den Beruf an, wie wahrscheinlich es ist, eine Berufsmatur absolvieren zu können. Während im Jahr 2015 rund 50% der KV-Lernenden und sogar 60% der ElektronikerInnen diesen Weg beschritten, waren es bei den Fachleuten Betreuung, bei den ElektroinstallateurInnen und bei den Detailhandelsfachleuten höchstens 10% (Meyer, T. 2016, S. 11). In Berufen mit Kundenkontakt oder unterschiedlichen Arbeitsorten, aber auch in kleinen Betrieben, kann es schwierig sein, wenn der/die Lernende einen zusätzlichen Tag in der Woche fehlt. Zudem besteht ein Zusammenhang zwischen der berufsspezifischen Berufsmatur-Quote und dem schulischen Anforderungsniveau des entsprechenden Lehrberufs.
Arbeiten oder studieren?
Was tun jene, die eine Berufsmatur gemacht haben? Rund die Hälfte absolviert früher oder später eine höhere Ausbildung. Ob der Übertritt an eine Fachhochschule erfolgt, hängt einerseits vom Bruttoinlandprodukt (BIP) und andererseits vom Geschlecht ab. In konjunkturell guten Jahren rentiert es offenbar weniger, den Bildungsweg auf der tertiären Stufe fortzuführen. Und Frauen, die nicht gleich nach der Lehre an die Fachhochschule gehen, tun das später deutlich seltener als die Männer. Insgesamt haben die Männer eine um rund die Hälfte höhere Übertrittsquote als Frauen (Bildungsbericht Schweiz 2018, S. 132).
Daten zur Lohnentwicklung, Arbeitslosigkeit und Einwanderung deuten darauf hin, dass im Arbeitsmarkt zukünftig mehr tertiär ausgebildete Fachkräfte gesucht werden. Weshalb wählen nicht mehr Lehrabgängerinnen und Lehrabgänger diesen Weg? Fehlen die finanziellen Anreize? Oder ist es ein bildungspolitisches Problem? Vielleicht geht es den Jugendlichen auch einfach um die Bildung an sich, und nicht primär darum, möglichst präzise den Ansprüchen der Arbeitswelt zu entsprechen. Am 23. Mai analysieren wir an einer Tagung in Freiburg die gegenwärtige Situation und suchen Erklärungen.
Literatur
Bildungsbericht Schweiz 2018, SKBF
Meyer, T. (2016). Bildungsgrenzen im Spiegel der Panel-Studie, S. 11
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«Übergänge von der Sekundar- zur Tertiärstufe: Formale Durchlässigkeit und effektive Nutzung»
23. Mai 2019, Collège St-Michel, Fribourg
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