Akademische Freiheit

Inhalte

  • Ziel und Leitfragen
  • Ein Begriff mit vielen Facetten
  • Umfrage zu Forschungsatmosphäre, Lehrklima und Debattenkultur
  • Interdisziplinäre Arbeitsgruppe
  • Weiterführende Literatur

Ziel und Leitfragen

Die SAGW möchte einen Beitrag leisten zu einer konstruktiven Auseinandersetzung um die Rahmenbedingungen erfolgreicher Forschung und Lehre in der Schweizer Hochschullandschaft. Dabei bieten folgende Fragen Orientierung:

  • Welche Faktoren und Bedingungen beeinflussen die akademische Freiheit in der Schweiz?
  • An welchem Verständnis von akademischer Freiheit orientieren sich Personen in Forschung und Lehre?
  • Inwiefern ist akademische Freiheit für ihre Forschungs- und Lehrtätigkeit von Bedeutung?

Ein Begriff mit vielen Facetten

Akademische Freiheit ist nicht nur ein Schlüsselwert für Hochschulen, sondern kann auch als Lackmustest für die Rolle der Universitäten in unserer Gesellschaft gelten. Inwiefern wird akademische Freiheit in der Schweiz respektiert? Die Schweiz erreicht 2022 gemäss dem «Academic Freedom Index» auf einer Skala von 0 bis 1 einen Wert von 0,9 und liegt damit im internationalen Vergleich im oberen Bereich. Aber was bedeutet diese Differenz von 0,1, die uns von idealen Bedingungen trennt?

Bei akademischer Freiheit handelt es sich um einen geschichtsträchtigen und facettenreichen Begriff. Da eine allgemein anerkannte Definition fehlt, wie ein Bericht des Europäischen Parlaments konstatiert, ist es eine Frage der Interpretation oder des Kontexts, auf wen sich diese Freiheit bezieht und was sie schützt. Gilt sie für Professorinnen und Professoren, Dozierende, Nachwuchsforschende oder auch für Studierende und administrative Mitarbeitende? Gehören dazu die Lehr- und Forschungsfreiheit im engeren Sinne oder umfasst sie auch die Freiheit, sich öffentlich zu fachspezifischen oder aktuellen Themen zu äussern?

Rechtliche Verankerung

Akademische Freiheit ist gegenwärtig in der Schweiz mehrfach verankert. Erstens wird die «Wissenschaftsfreiheit» gemäss dem Artikel 20 der Bundesverfassung als Grundrecht garantiert. Zweitens nennt das Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz den Grundsatz, dass der Bund auf die «Autonomie der Hochschulen sowie auf die Grundsätze der Freiheit von Lehre und Forschung» achten müsse (Art. 5). Drittens spielt die akademische Freiheit eine doppelte Rolle in der institutionellen Akkreditierung, die Hochschulen erfüllen müssen, um sich «Universität», «Fachhochschule» oder «Pädagogische Hochschule» nennen zu dürfen und Beiträge des Bundes erhalten zu können. Einerseits bildet Freiheit der Lehre und Forschung eine Voraussetzung, um zum Akkreditierungsverfahren zugelassen zu werden, und andererseits gelten Freiheit und Unabhängigkeit als Qualitätsstandards für die Aktivitäten der Hochschulen, wobei geprüft wird, inwiefern sie autonom sind, das heisst selbständig für ihre eigene Qualitätssicherung und -entwicklung sorgen, und dieses Ziel zugleich mit ihren Transparenz- und Rechenschaftspflichten vereinbaren.

Unabhängigkeit der Hochschulen gegenüber staatlichen Eingriffen und fremden Einflüssen

Ein Nachdenken über die Gelingensbedingungen der akademischen Freiheit kann unterschiedliche Dimensionen in den Vordergrund rücken. Im abwehrrechtlichen Sinn bezieht sie sich auf die Unabhängigkeit der Forschungs- und Bildungseinrichtungen gegenüber staatlichen Eingriffen, wobei zugleich viele Disziplinen und forschungsrelevante Infrastrukturen auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. In einem allgemeinen Sinne kann auch die Autonomie und Selbstbestimmung der wissenschaftlichen Gemeinschaft beachtet werden. Dabei geht es um die Möglichkeit, frei von politischen, wirtschaftlichen oder ideologischen Einflüssen zu forschen, lehren und zu hinterfragen, wobei allerdings klar ist, dass sich wissenschaftliche Forschung und Lehre nicht in einem gesellschaftlichen, kulturellen und machtpolitischen Vakuum vollziehen.

Selbstständigkeit der Forschenden gegenüber Universitätsleitungen

In diesem Zusammenhang ist auch das Verständnis der Universität als Ort des offenen Dialogs bedeutsam, der grundsätzlich nichts ausgrenzt, abgesehen von intoleranten Meinungen und Haltungen, wobei sich die grundsätzliche Frage stellt, wer letztlich darüber entscheidet, welche Meinungen die Toleranzgrenzen überschreiten. Eine weitere Bezugsebene bildet die Selbständigkeit der Forschenden und Dozierenden gegenüber den Universitätsleitungen, die darin besteht, ihre Forschungsthemen, Methoden und Lehrinhalte – innerhalb des vorgegebenen Rahmens – selbst zu wählen. Als Gegenstück zur Lehrfreiheit steht die Lernfreiheit, die Studierenden – unter Einhaltung der jeweiligen Studienordnung – eine freie Studienwahl und -gestaltung gewährleisten soll.

In den verschiedenen Dimensionen zeigt sich, dass Freiheit stets von Grenzen begleitet und ihr Spielraum massgeblich durch diese mitbestimmt wird. Wo die Grenzen der akademischen Freiheit verlaufen beziehungsweise gezogen werden sollten, wie sie geschützt werden kann und anhand welcher Kriterien sie bestimmt werden soll, bleibt eine fortwährende gesellschaftliche Auseinandersetzung.

Umfrage zu Forschungsatmosphäre, Lehrklima und Debattenkultur

Um aktuelle Entwicklungen und Kontinuitäten zum Thema der akademischen Freiheit an Schweizer Hochschulen zu eruieren, hat die SAGW 2022 das Politik- und Kommunikationsforschungsunternehmen gfs.bern beauftragt, 20 qualitative Leitfadeninterviews mit Nachwuchsforschenden beziehungsweise Mittelbauangehörigen, Dozierenden und Forschenden sowie mit Professorinnen und Professoren durchzuführen. Es standen dabei Fragen zur Rolle der akademischen Freiheit, zur Forschungs- und Lehratmosphäre sowie zur Debattenkultur im Vordergrund. Der Bericht wurde im Mai 2023 publiziert.

gfs.bern (2023): Akademische Freiheit: Forschungsatmosphäre, Lehrklima und Debattenkultur an Schweizer Hochschulen. Bericht im Auftrag der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, Bern. https://doi.org/10.5281/zenodo.7945690

Methode

Die Arbeitsgruppe erstellte unter Berücksichtigung von Kriterien wie Geschlecht, Position, Affiliation und Fachgebiet eine Liste mit rund 50 Personen der Schweizer Hochschullandschaft, wovon das gfs.bern 20 Personen für qualitative Leitfadeninterviews ausgewählt hat. Befragt wurden sechs Nachwuchsforschende bzw. Mittelbauangehörige, sieben Dozierende bzw. Forschende sowie sieben Professorinnen und Professoren.

Interdisziplinäre Arbeitsgruppe

Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe der SAGW befasst sich mit dem Thema «Akademische Freiheit». Die Mitglieder diskutieren mitunter Fragen zur Rolle von Medien oder Minoritäten und berücksichtigen dabei auch Aspekte wie Tabu, Toleranz oder Debattenkultur.

Mitglieder

  • Prof. Dr. Janine Dahinden, Universität Neuenburg
  • Prof. Dr. Yasmina Foehr-Janssens, Universität Genf
  • Prof. Dr. Ellen Hertz, Universität Neuenburg
  • Prof. Dr. Caspar Hirschi, Universität St. Gallen
  • Prof. Dr. Didier Maillat, Universität Freiburg
  • Christian Weibel, SAGW

Weiterführende Literatur

  • Aus Politik und Zeitgeschichte: Wissenschaftsfreiheit, 46/2021 (online).
  • Borsche, Tilman (2022): Akademische Freiheit: Orte und Regeln des freien Wortes im Wandel geschichtlicher Kontexte, Baden-Baden.
  • Magna Charta Universitatum 2020 (online).
  • State of play of academic freedom in the EU Member States Overview of de facto trends and developments, March 2023 (PDF).
  • La liberté académique: Enjeux et menaces. Brüssel, 2021 (online).