Der Beitrag der Geistes- und Sozialwissenschaften zu den SDGs
Vor zwei Wochen hat Marlene Iseli in ihrem Blog-Beitrag eine Reihe von Vorwürfen an die Geisteswissenschaften identifiziert. Nachdem wir letztes Mal am Beispiel der Demokratie gezeigt haben, dass die Geisteswissenschaften durchaus relevant sind, stellen wir uns heute der These, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften nicht am Puls der Zeit seien.
Am Puls der Zeit sind die 17 Sustainable Development Goals (SDGs) der UNO-Agenda 2030. Machen wir also mal den Test. Beschäftigen sich die Geistes- und Sozialwissenschaften mit den SDGs? Tragen Sie etwas dazu bei? Und wenn ja, was?
Zunächst stellt sich grundsätzlich die Frage, inwiefern die SDGs geistes- und sozialwissenschaftliche Exertise benötigen. Kultur beispielsweise, wird in den 17 Nachhaltigkeitszielen nirgendwo explizit erwähnt. Da geht es, wie erwartet, um Trinkwasser, saubere Energie, Klimaschutz und Ökosysteme. Aber eben nicht nur. Auch Armut, Lebensqualität, Geschlechtergleichheit, nachhaltiger Konsum und menschenwürdige Arbeit sind Teil der Nachhaltigkeitsziele. Längst hat man erkannt, dass es unzählige Wechselwirkungen gibt und dass viele der Unterziele auch gegenläufig sind, d.h., Fortschritte beim einen Ziel werfen ein anderes zurück. Ein Problem auf dieser Komplexitätsstufe lässt sich selten durch eine einzelne Lösung beheben. Die Wissenschaften müssen hier ihre disziplinäre Zugehörigkeit überwinden und zusammenarbeiten. Dabei zeigt sich, dass es die Geistes- und Sozialwissenschaften nicht nur „auch“ sondern „besonders“ braucht.
Handlungsbedarf beim nachhaltigen Konsum und bei der Gleichstellung
Nachdem die Agenda 2030 im September 2015 verabschiedet wurde, machte der Bund zunächst eine Standortbestimmung. Der 2018 veröffentlichte Länderbericht zeigte Schwächen der Schweiz im Bereich nachhaltiger Konsum und Gleichstellung. In der logischen Konsequenz fokussierte die Strategie Nachhaltige Entwicklung (SNE) auf die drei Felder, «Konsum und Produktion», «Klima, Biodiversität und Energie» sowie «Chancengleichheit» und somit mehrheitlich auf Themen aus den Geistes- und Sozialwissenschaften. Einen ersten Eindruck zur aktuellen Forschung gab die SAGW letztes Jahr mit den SDG-Abendveranstaltungen. So forderte der Jurist Nicolas Bueno dazu auf, den Kreislauf «Konsum – Produktion – Arbeit» zu durchbrechen und das Verhältnis zur Arbeit neu zu denken (Bericht). Und die Geschlechterforscherin Andrea Maihofer räumte mit zwei Irrtümern auf: Weder habe man in der Schweiz die Gleichstellung erreicht, noch bestehe ein Konsens darüber, dass dies nötig sei (Bericht). Wir brauchen also nichts weniger als eine neue Gesellschaft mit neuen Werten und Lebensansichten: Eine Gesellschaft mit neuen Geschichten, die sich nicht mehr primär an Wirtschaftlichkeit, sondern an Nachhaltigkeit orientieren. Und solche sozialen Innovationen sind ein Kerngebiet der Geistes- und Sozialwissenschaften. (Und übrigens auch Thema an einer SAGW-Veranstaltung im Mai.)
Die Geistes- und Sozialwissenschaften vernetzen sich für die SDGs
Ende letzten Jahres hat die SAGW ihre Fachgesellschaften aufgerufen, Projekte im Bereich der SDGs einzugeben. 12 Projekte sind bewilligt worden. Am 27. Januar trafen sich die Projektleiterinnen und Projektleiter gemeinsam mit weiteren Expertinnen und Experten zu einem ersten Austausch. Den Bericht dazu finden Sie hier. Das Fazit war klar: Die Geistes- und Sozialwissenschaften wollen sich koordinieren und Verantwortung beim Erreichen der Nachhaltigkeitsziele übernehmen.
Wir halten Sie auf dem Laufenden und werden hier in diesem Blog einzelne Projekte vorstellen.
Forschen Sie auch an einem geistes- oder sozialwissenschaftlichen Projekt mit Bezug zu den SDGs? Oder kennen Sie solche Projekte? Wir sind interessiert. Informieren Sie uns per Kommentarfeld oder mit E-Mail an: beatrice.kuebli(at)sagw.ch