Die Frage nach der gesellschaftlichen Wirksamkeit von Forschung hat in Ländern wie England oder den Niederlanden unter dem Schlagwort «Societal Impact» in den letzten Jahrzehnten den wissenschaftlichen Alltag geradezu neu geformt. Aufwendige, multimedial aufbereitete Impact Stories begleiten die Forschung und sagen die erfolgreiche Anwendung und die Nützlichkeit der Ergebnisse voraus. Und in der Schweiz? Hier lassen sich auf dem Austausch mit der Gesellschaft keine akademischen Karrieren bauen.
Alter Wein in neuen Schläuchen?
Eine Veranstaltung der SAGW, die am 24. Mai im Rahmen ihrer Jahresversammlung stattfand, stellte den vieldiskutierten Societal Impact in den Geistes- und Sozialwissenschaften als ein neues Instrument der Hochschulsteuerung an den Schweizer Universitäten zur Diskussion. Fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Geschichte, den Musikwissenschaften, der Politologie, der Volkskunde oder der Linguistik, lieferten an der Veranstaltung Fallbeispiele aus ihrer Praxis für gelungenen Austausch mit der Gesellschaft.
Mehrere Beitragende standen dem Impact-Begriff skeptisch gegenüber. Bernhard Tschofen, Professor für populäre Kulturen in Zürich, fragte sich, ob es sich dabei nicht um einen «neoliberalen Wiedergänger» von etwas handle, das man früher unter «soziale Verantwortung» fasste. André Holenstein, Professor für Geschichte in Bern, betonte, dass der Anspruch an die Nützlichkeit der Forschung schon seit der Aufklärung mit ihren utilitaristischen Strömungen bestehe und sprach also von «altem Wein in neuen Schläuchen». Die Skepsis ist zu einem guten Teil sicherlich der Vagheit des Impact-Begriffs geschuldet. Sind nicht auch Fake News gesellschaftlich wirksam?
Impact ist nicht gleich Output
Doch stammt die Irritation wohl auch aus einem Verständnis von Impact als ex-post-Transfer von akademischem Wissen in die Gesellschaft, als reine Kommunikation von Ergebnissen und Expertise: ein Gastkommentar in einer Tageszeitung, eine für ein breites Publikum aufbereitete Monographie, eine Ausstellung anlässlich eines Jubiläums. Die Evaluationsforschung versteht Societal Impact indes breiter: als dialektischen Austausch zwischen Wissenschaftlern und ausserakademischen Akteuren, der in Forschungsprojekten von Beginn weg konstitutiv mitgedacht wird. «Produktive Interaktionen» («productive interactions») mit wechselnden Stakeholdern sollen zu höherer sozialer Relevanz von geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung führen, brachten niederländische Forscher ihre Vision in einem 2017 publizierten Positionspapier auf den Punkt. Die Pfade («pathways») zu gesellschaftlicher Wirksamkeit sind dabei so vielfältig, wie die Disziplinen und die adressierten gesellschaftlichen Herausforderungen und nur schwer zu typologisieren oder gar zu institutionalisieren, wie eine im März veröffentlichte Studie aus dem Umfeld des European Network for Research Evaluation in the Social Sciences and the Humanities zeigt.
Öffentliche Wirksamkeit als Privileg des Alters
Wer in akribischer philologischer Arbeit die Texte eines wenig bekannten Philosophen des 18. Jahrhunderts ediert, mag er noch so offen für den Austausch sein, er wird sich kaum je in einem Raum mit Stakeholdern aus Wirtschaft und Politik wiederfinden. Wer hingegen zur Wiederkehr der Wölfe in die Schweiz forscht, sich wissenschaftlich mit dem Nutzen des Sprachunterrichts in der Volksschule befasst, oder pünktlich zu einem politisch aufgeladenen Jubiläumsjahr eine alternatives Narrativ zur Schweizer Geschichte vorlegt, schon eher.
Dieser Austausch klingt erstrebenswert, wird von einem quantitativ orientierten Evaluationssystem indes kaum als wissenschaftliche Leistung valorisiert. Die viel diskutierte «dritte Mission» für Forschende, die in den letzten Jahren neben die klassischen «Missionen» Forschung und Lehre trat, bleibt so ein Privileg des Alters, reserviert für Professoren, die längst in Amt und Würde stehen. Gerade die Geistes- und Sozialwissenschaften, deren Relevanz in der öffentlichen Debatte liegt, sollte sich, so ein breiter Konsens an der Veranstaltung, für eine Vielfalt der Kriterien für wissenschaftliche Qualität einsetzen, die auch den Wissenstransfer und den Austausch mit ausserakademischen Akteuren einschliessen, und eigene, qualitative Kriterien zur Erfassung ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit formulieren. Die Karrierewege würden so vielfältiger. Auch junge Forschende könnten, wo es sich anbietet, dem unmittelbaren gesellschaftlichen Austausch mehr Gewicht beimessen, ohne dafür vom System diszipliniert zu werden. Und wer Grundlagenforschung betreibt, müsste weiterhin nicht zu viel Zeit darauf verwenden, in Projektanträgen verschlungene, noch nicht absehbare Pfade in die gesellschaftliche Wirksamkeit seiner Forschung zu skizzieren.