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Erinnerung partizipativ gestalten: 14 Denkmal-Aktionen im Rampenlicht

Christina Graf
Communiqué de presseMedienmitteilung Gesellschaft – Kultur – Sprache

Wie gestaltet die Zivilgesellschaft Erinnerungskultur mit? Eine Studie im Auftrag der SAGW hat 14 Fallbeispiele untersucht.

Woran erinnern wir uns? Demokratische Gesellschaften müssen diese Frage stets neu aushandeln. Nun hat eine Studie im Auftrag der SAGW 14 Projekte untersucht, in denen Vereine, Künstlerkollektive oder andere Gruppen neue Denkmäler angeregt oder bestehende Denkmäler im öffentlichen Raum verändert haben. Daraus lassen sich zehn Empfehlungen für zivilgesellschaftliche Teilhabe in der Schweiz ableiten.

1999 transportierte ein Künstlerkollektiv das Denkmal für Alfred Escher und drei weitere Statuen von der Zürcher Innenstadt ins Trendquartier in Zürich West. Die leeren Sockel überliess man der Öffentlichkeit als Bühne und Kunstplattform. In der Stadt Portland (USA) animierte eine Non-Profit-Organisation nach mehreren Denkmalstürzen Aktivistenverbände und Nachbarschaften dazu, Ideen zur Umgestaltung der lokalen Denkmallandschaft einzureichen. Daraus entstand eine Online-Galerie und die Ausstellung «Prototypes». 2022 stimmte das Schweizer Parlament fast geschlossen für ein nationales Holocaust-Memorial. Der Anstoss dafür kam von rund 50 Organisationen aus der Zivilgesellschaft.

Dies sind drei der 14 Denkmalaktionen aus dem In- und Ausland, die eine neue Studie im Auftrag der SAGW untersucht. «Die transnationale Perspektive gibt einen guten Einblick in die verschiedenen Möglichkeiten und Wege, welche eine partizipative Erinnerungskultur nehmen kann», so Studienautorin und Historikerin Anne Schillig von der Pädagogischen Hochschule Luzern. Zusammen mit den Geschichtsdidaktikern Sebastián Lingenhöle und Gian Knoll erstellte sie aus den Fallbeispielen ein Mapping von Teilhabepraktiken wie Petitionen, öffentliche Abstimmungen, Diskussionsforen oder autonome Aktionen.

Behördliche Unterstützung fällt unterschiedlich aus

Das Autorenteam führte weiter Leitfadeninterviews mit Verantwortlichen von sieben Teilhabe-Projekten. Die Auswertung zeigt: Die behördliche Unterstützung kann stark variieren. So tun sich Anliegen leicht, die den Nerv der Zeit treffen. Der Verein «Stolpersteine Schweiz» beispielsweise, der mit goldenen Pflastersteinen an die Opfer des Nationalsozialismus erinnert, profitierte für die Umsetzung öfters von «fast tracks». Andere Projekte erhalten Zuspruch aus progressiven Kreisen, drangen aber mit ihren Forderungen kaum zu den Behörden durch. Dies betrifft etwa das Kollektiv «Vo da.», das sich für die Entfernung rassistisch konnotierter Häusernamen in Zürich einsetzt. Unterschiede zwischen den Projekten liessen sich auch beim Partizipationsgrad beobachten, so Autor Gian Knoll: «Die untersuchten Projekte streben Partizipation in sehr unterschiedlichem Ausmass an. Dies reicht von der punktuellen Konsultation der Zivilgesellschaft bis zur aktiven Mitgestaltung über den Gesamtprozess».

Zehn Empfehlungen für Teilhabe-Projekte in der Schweiz

Die Autorin und Autoren leiten aus ihren Ergebnissen zehn Empfehlungen ab, die Organisationen und Gruppen aus der Zivilgesellschaft dabei unterstützen können, Teilhabeprojekte in der Schweiz zu realisieren. So betont Sebastián Lingenhöle: «Auch wenn der Einsatz sozialer Medien den Partizipationsgrad deutlich erhöht, hat sich gezeigt, dass der direkte Austausch vor Ort die Realisierung eines Projekts begünstigt». Für Fachpersonen aus Politik und Verwaltung bieten die Empfehlungen eine Orientierung, wie partizipative Projekte angestossen werden können:

  • Communitys schaffen: Es ist sinnvoll, als feste Community aufzutreten, zum Beispiel als Verein oder Kollektiv.
  • Kooperationen und Netzwerke bilden: Vielfältige Verbindungen mit Politikerinnen oder Künstlern ebnen den Weg für eine breite Mobilisierung.
  • Digitale Technologien nutzen: Im digitalen Raum lassen sich Ideen sammeln und visualisieren, mit Social Media mobilisieren. Der persönliche Austausch bleibt dennoch zentral.
  • Think globally, act locally: Projekte, die an Ereignisse von überregionaler Bedeutung anknüpfen, aber eine lokale Umsetzung anstreben, haben gute Aussichten auf Erfolg.
  • Wettbewerbe, Abstimmungen und Bürgerforen organisieren: Für Behörden und andere Auftraggeber empfehlen sich transparente und dialogische Formate zu nutzen.
  • Ganzheitliche Partizipation ermöglichen: Projekte, die nicht nur punktuell, sondern in allen Phasen Teilhabefenster einbauen, erreichen eine hohe Beteiligung.
  • Über das Einzelobjekt hinausdenken: Es ist zielführend, früh konkrete Massnahmen für die langfristige Vermittlung zu formulieren.
  • Temporäre Denkmalaktionen durchführen: Vorübergehende Aktionen können Aufmerksamkeit erzeugen und – sauber dokumentiert – auch langfristige Effekte erzielen.
  • «Fast Track»-Verfahren erwirken: Gelangt ein Anliegen auf die politische Agenda, können sich kurze Dienstwege ergeben.
  • Den politisch-rechtlichen Rahmen kennen und nutzen: Um Mittel wie Petitionen oder temporäre Aktionen effektiv einzusetzen, müssen gründliche Abklärungen getroffen werden.

Zitiervorschlag

Schillig, Anne, Gian Knoll und Sebastián Lingenhöle (2022): Erinnerung partizipativ gestalten. Zivilgesellschaftliche Teilhabe an der Gestaltung öffentlicher Erinnerungskultur in der Schweiz. Bericht im Auftrag der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (Swiss Academies Reports 17,1). https://doi.org/10.5281/zenodo.6539433 

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Kontakte für Rückfragen

Christina Graf, Kommunikation SAGW: christina.graf@sagw.ch | 031 306 92 54

Anne Schillig, Autorin, PH Luzern: anne.schillig@phlu.ch | 041 203 01 58

Gian Knoll, Autor, PH Luzern: gian.knoll@phlu.ch / gianknoll@gmx.ch

Sebastián Lingenhöle, Autor, PH Luzern: sebastian.lingenhoele@phlu.ch