Die erste Gesamtausgabe von Shakespeares Dramen, 1623, sieben Jahre nach seinem Tod publiziert, ist bewusst als Denk-mal konzipiert. Ihr Format ist monumental, das eines Folianten; sie wird deshalb in der Forschung gemeinhin als «Folio» bezeichnet. Ihr Titelblatt zeigt, für ein Buch seiner Zeit ungewöhnlich, das Porträt des Autors. Und die Appelle an die Leser wie die Gedichte, die den Band einleiten, feiern Shakespeares Werk in einer Weise, die den Status des Buchs als Denkmal bekräftigen.
Shakespeare als Denkmal? Dies stellt die Literaturwissenschaft vor interessante Fragen. Sie fordern uns auf, unser Fachgebiet in der traditionellen Definition zu verlassen. Sie eröffnen uns deshalb auch Perspektiven, die es uns ermöglichen, unsere Praxis in einem neuen Licht zu sehen. Einigen dieser allgemeinen Fragen möchte ich nachgehen, am Beispiel Shake-speares. Er — oder sollte ich sagen es, denn ich meine ein kul-turelles Phänomen — eignet sich besonders dazu, weil er so lange und so gut dokumentiert ist. Ich will zuerst etwas über Denkmale sagen, mich dann Shakespeare zuwenden und in drei Schritten das Gesagte zu verallgemeinern versuchen.
(Auszug aus dem Akademievortrag von Balz Engler, Februar 2000)