Frau Schindler, was machen KunsthistorikerInnen eigentlich nach dem Studium?
Das Berufsfeld der KunsthistorikerInnen ist sehr vielfältig und reicht von der Denkmalpflege und didaktischer Arbeit an Schulen über wissenschaftliche Karrieren an Hochschulen und klassischen Tätigkeiten in Museen wie Galerien bis hin zu kritischem Journalismus, Kunstförderung und Provenienzforschung. Dabei variieren auch die Formen von Angestelltenverhältnis über freischaffende Tätigkeit bis zur Selbständigkeit mit eigener Firma. Über die eigentlichen Berufsbilder erfährt man während des Studiums nichts Genaues – das Studium ist ja auch keine Berufsausbildung. Dementsprechend ist der Berufseinstieg für viele eine grosse Herausforderung.
Ist der Berufseinstieg für KunsthistorikerInnen heute schwieriger als früher?
Ich bezweifle, dass sich viel geändert hat. Der Berufseinstieg erfordert schon lange alle verfügbaren Ressourcen und die Bereitschaft, sich für einige Jahre mit kleinen Pensen oder Mini-Aufträgen die Sporen abzuverdienen. Durch die Vielfältigkeit ist eine lineare Weiterentwicklung nur selten möglich. Das Feld war und ist enorm kompetitiv. Für Frauen bleibt die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Spagat, bei dem oft ein schlechter Lohn und noch schlechtere berufliche Aufstiegsmöglichkeiten in Kauf genommen werden müssen. Und dies im 21. Jahrhundert und in einem Beruf, in dem überproportional viele Frauen vertreten sind.
Was ist das Ziel des Mentoring-Programms der VKKS?
Unser Mentoring-Programm bringt erfahrene KunsthistorikerInnen mit Studierenden, Uni-Abgängerinnen und Wiedereinsteigern zusammen. Die etablierten Berufsleute geben konkrete Tipps zu Beruf und Karriere, stehen bei der Entscheidungsfindung mit Rat und Tat zur Seite und helfen den Mentees, sich ein Netzwerk aufzubauen.
Karrieren und Berufsbilder verändern sich ständig: Wie tragen die Mentorinnen und Mentoren diesem Fakt Rechnung?
Unsere Mentorinnen und Mentoren haben diese Veränderungen laufend selbst erfahren und müssen sich ihnen ihr ganzes Berufsleben lang stellen. Als Freischaffende oder Selbständige wie auch im Anstellungsverhältnis prägen sie das Berufsbild und dessen Wandel wesentlich.
Im Grunde steigen junge Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker in eine Berufswelt ein, die von der älteren Generation modelliert worden ist.
Vielleicht haben letztere mit ihrer Erfahrung auch einen besseren Blick auf Felder, in denen heute Bedarf nach Fachwissen besteht und können die BerufseinsteigerInnen darauf aufmerksam machen.
Anders gefragt: Empfinden junge BerufseinsteigerInnen ein Mentoring durch ältere KollegInnen denn nicht mitunter als paternalistisch?
So ein Feedback habe ich bis jetzt noch nicht erhalten. Eher scheint mir, dass der Austausch zwischen den Generationen extrem geschätzt wird – und dies in beide Richtungen. Gerade StudienabgängerInnen sind hungrig nach Praxiserfahrungen und wollen wissen, wie die Berufswelt gestrickt ist. Erfahrene Berufsleute sind die beste Quelle für sie, zuweilen wohl besser als professionelle Coaches oder Berufsberaterinnen. Manchmal ist für die jungen Leute aber auch einfach ein empathisches Visavis wichtig, mit dem sie über ihre Aussichten und Befürchtungen sprechen oder einen Reality-Check durchführen können. Die MentorInnen vermitteln Bestätigung und haben Antworten auf konkrete Fragen, zum Beispiel wie man erfolgreich eine Lohnverhandlung führt.
Die Pilotphase für das Mentoring-Programm der VKKS läuft seit 2020. Wieviele Personen haben das Programm bislang in Anspruch genommen und was sind Ihre ersten Learnings?
Wir hatten in unserem ersten Jahr 46 Tandems. Zwei Mentorings wurden abgebrochen. Insgesamt erhalte ich supermotivierendes Feedback. Besonders berührt mich, dass die Mentoring-Zusammenarbeit für praktisch alle eine fassbare Auswirkung hat. Und ich spreche dabei nicht nur von den Mentees, die mithilfe ihres Mentors oder ihrer Mentorin eine Berufsperspektive entwickeln, wichtige Weichen stellen oder ihre Stellenbewerbungen optimieren konnten. Auch die MentorInnen schreiben mir, dass für sie der persönliche Austausch mit jungen KollegInnen ein Gewinn sei, der sie etwa dazu bewege, Angebote wie Praktika aus Perspektive der Mentees neu zu denken. Kurz: Sie profitieren von einem frischen Blick auf ihre eigene Tätigkeit.
Das Programm ist derzeit für Mentees gratis und setzt bei den MentorInnen auf Ehrenamtlichkeit. Wird dies auch in Zukunft so bleiben?
Die Finanzierung des Programms ist in der Tat eine Herausforderung. Mentoring-Programme sind oft an Universitäten angebunden und umfassen alle Fachbereiche. Fachspezifische Mentorings wie das unsere sind nicht die Regel, auch nicht bei der Finanzierung. Nebst dem Stiftungs-Fundraising werden wir nun auch nach unkonventionelleren Lösungen für die Finanzierung Ausschau halten.
Fragen: Heinz Nauer
Titelbild
Cooperative Aesthetics: Critical Mass. Ars Electronica via flickr, CC BY-NC-ND 2.0.