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Die SAGW verabschiedet ihren langjährigen Generalsekretär

Text: Heinz Nauer, Beat Immenhauser und Christian Weibel

21 Jahre lang war Markus Zürcher Generalsekretär der SAGW. An der Delegiertenversammlung in Bern wurde er feierlich verabschiedet. Eine Laudatio.

Im November 2022 hat Markus Zürcher seine Demission als SAGW-Generalsekretär per Ende Juni 2023 angekündigt. Wer Markus kennt, dürfte nicht überrascht gewesen sein, dass die Aussicht auf die anstehende Pension sein Engagement keineswegs minderte. So verfasste er in den auf die Demission folgenden Wochen – mit gewohnt spitzer Feder – einen Essay mit dem Titel «Fördern statt selektionieren», der im Februar 2023 in der Publikationsreihe der Akademien erschien und in dem er grundsätzliche Kritik am Schweizer Bildungssystem äusserte, welches das Begabungspotenzial der Kinder und Jugendlichen nicht ausschöpfe und die Lust am Lernen schon früh «abwürge».

Die öffentliche Debatte im Blick

Markus war 28 Jahre lang für die SAGW tätig: ab 1995 als wissenschaftlicher Mitarbeiter, später als stellvertretender Generalsekretär, seit 2002 schliesslich als Generalsekretär. Das Amt an den SAGW-Schalthebeln übernahm er von Beat Sitter-Liver. Im Nachruf, den er auf seinen 2022 verstorbenen Vorgänger verfasste, erinnert er sich: «Als Beat mir im April 2002 die Leitung des Generalsekretariats übergab, hat er mir auf einem A4-Papier mit grosser Schrift ein Zitat von Baltasar Gracián überreicht, auf dem stand: ‹Man unternehme das Leichte, als wäre es schwer, und das Schwere, als wäre es leicht; jenes, damit das Selbstvertrauen uns nicht sorglos, dieses, damit die Zaghaftigkeit uns nicht mutlos macht.›»

Markus agierte als Generalsekretär weder zaghaft noch mutlos. Er hat nicht nur die kritische Intervention als eine vornehmliche Aufgabe der Geistes- und Sozialwissenschaften gepriesen, sondern auch selbst die öffentliche Debatte gesucht. Seine Vorträge und Gastkommentare trugen markige Titel wie «Geisteswissenschaften – warum sie so attraktiv und erfolgreich sind» oder «20 Jahre sind genug! Ein Richtungswechsel bei Bildung und Forschung ist nötig». Seine zahllosen Kommentare zum gesellschafts-, bildungs- und wissenschaftspolitischen Geschehen haben nicht nur zahlreiche Reaktionen in den Kommentarspalten von Zeitungen ausgelöst, sondern immer wieder auch Diskussionen unter den Akteuren im BFI-Bereich angestossen.

Weiter, immer weiter: langfristige Infrastrukturen

Mit Markus Zürcher verabschieden wir den erst zweiten Generalsekretär in der Geschichte der SAGW. Sein Name steht demnach für institutionelle Kontinuität, die ein langfristiges Wirken nach dem Motto «Steter Tropfen höhlt den Stein» erst ermöglicht. Dieses hartnäckige Dranbleiben war freilich nicht immer in durch strategische Gremien abgesegneten Planungen festgeschrieben, gleichwohl aber immer wieder von Erfolg gekrönt. Beispielsweise lässt sich im Rückblick festhalten, dass Markus massgeblich zur Etablierung des Kompetenzzentrums Sozialwissenschaften FORS beigetragen hat, das heute über 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zählt. Dessen Gründungsdirektor, Peter Farago, erinnert sich: «Ohne sein kontinuierliches Engagement als Generalsekretär der SAGW in der schwierigen Übergangszeit zwischen dem Auslaufen des sozialwissenschaftlichen Schwerpunktprogramms Demain la Suisse im Jahr 2003 und dem Start von FORS im Jahr 2008 gäbe es letzteres gar nicht oder nicht in der heutigen Form.»

Auch den Langzeitunternehmen der SAGW – den Nationalen Wörterbüchern, Année Politique Suisse, dem Inventar der Fundmünzen, den Diplomatischen Dokumenten, dem Historischen Lexikon und infoclio – war Markus stets verbunden. Er hat sie immer als wichtige Pfeiler der Akademie verstanden und sich, zunächst an vorderster Front, später etwas mehr im Hintergrund, jederzeit für sie eingesetzt. Auch an der kontinuierlichen Förderung der geistes- und sozialwissenschaftlichen nationalen Fachgesellschaften, die er als Fundament der Akademie betrachtet, hat er immer festgehalten.

Bemerkenswerte Ausdauer hat Markus auch bei der Implementierung des Dachverbands Akademien Schweiz bewiesen, dessen Geschäftsführung er von seiner Gründung 2006 bis 2015 innehatte. Einer «Einheitsakademie», wie sie in den letzten Jahren dann und wann diskutiert wurde, stand er indes stets skeptisch gegenüber. Es ist insofern kein Zufall, dass er seine Demission in einer Phase bekannt gab, in der die Mehrjahresplanung 2025–2028 fertiggestellt und ein für den Akademienverbund richtungsweisender Organisationsentwicklungsprozess in trockenen Tüchern war.

Ein Hoch auf die Serendipität

Getrieben und getriggert wird Markus indes nicht primär von Institutionalisierungs- und Organisationsprozessen, sondern von Inhalten. Von Haus aus Historiker wandte er sich ab den 1990er-Jahren – nicht zuletzt im Rahmen seiner Dissertation, die er zu den Anfängen der Soziologie in der Schweiz verfasste – vermehrt den Sozialwissenschaften zu. Dies machte ihn in beiden Welten, den Geistes- und den Sozialwissenschaften, heimisch, wobei er diese – dem französischen Muster folgend – nicht als getrennt erachtete. Aus dieser Denkweise entsprang auch die viel beachtete Aktion «It’s the Humanities, Stupid!», mit der die SAGW 2016 auf eine mitunter parteipolitisch motivierte Kritik an den Geisteswissenschaften und ihrer gesellschaftlichen Relevanz reagierte.

Markus hält die Serendipität hoch und plädiert dafür, Ideen und Empfehlungen schnell in Umlauf zu geben und damit sozusagen in die öffentliche Vernehmlassung zu entlassen – mit Vertrauen darauf, dass sich das gute Argument letztlich durchsetzen werde, und sei es auf Umwegen. Ein kurzer Blick in die SAGW-Bibliografie genügt denn auch, um festzustellen, dass sich das thematische Spektrum im Generalsekretariat nach Markus’ Ernennung zum Generalsekretär rasch veränderte und erweiterte. Bald lagen die Schwerpunkte auf den drängenden Zeitfragen, bald veröffentlichte die SAGW jedes Jahr ein Dutzend Publikationen und mehr.

Mit Markus an vorderster Front plädierte die SAGW in den letzten zwei Jahrzehnten für ein neues Verständnis von Gesundheit, für ein Umdenken in der Alters- und Bildungspolitik, für ein inklusiveres Innovationsverständnis, für qualitativere Formen der Evaluation von Wissenschaft und für bessere Perspektiven für den akademischen Mittelbau. Auch die Nachhaltigkeitsthematik, die heute im Akademienverbund im Referenzrahmen der Sustainable Development Goals einen so zentralen Platz einnimmt, stand schon kurz nach seinem Amtsantritt weit oben auf der Agenda.

Von der Jugendbewegung bis zur Ageing Society

Die vielleicht am breitesten abgestützte Initiative in der Geschichte der SAGW ist die «Swiss Platform Ageing Society», die Markus 2017 zusammen mit seinem Team als Beitrag zur Umsetzung der «Global Strategy and Action Plan on Ageing and Health» der WHO gründete. Sie zählt heute mehr als 100 institutionell mit dem demografischen Wandel befasste Mitglieder aus Hochschulen, Verbänden, Netzwerken, Stiftungen und Verwaltung. Ueli Roth vom Pensionierten-Netzwerk innovage erinnert sich: «Markus hat es verstanden, diese Plattform kontinuierlich aufzubauen und die Zusammenarbeit unter ihren Mitgliedern zu fördern. Die sozialen und gesellschaftlichen Folgen der demografischen Entwicklung sah er – ganz Sozialwissenschaftler – dabei stets als bedeutender an als die finanztechnischen Konsequenzen.»

Markus hat ein grosses Flair für das Vernetzte, für thematische Querverbindungen. Inspirieren lässt er sich von ganz unterschiedlichen Quellen. Er schöpft aus einem Kanon von Klassikern (von Georg Simmel über Max Weber bis hin zu Ernst Cassirer) ebenso wie aus den Tagesmedien, aus der eigenen Biografie ebenso wie aus der Populärkultur, wovon die Dekoration seiner akkurat mit Plakaten der Pop- und Subkultur ausgestatteten Bürowände zeugt (von der Berner Reitschule bis zu E.T. und The Big Lebowski). Die Behauptung dürfte nicht zu weit hergeholt sein, dass sich Markus in den letzten zwei Dekaden nicht derart konsequent und vielfältig für die Geistes- und Sozialwissenschaften hätte einsetzen können, wenn er sich nicht einen Teil der rebellischen Eigenwilligkeit aus seinen Berner Jugendbewegungsjahren bewahrt hätte – eine Eigenwilligkeit, die übrigens auch in seinem eigenständigen sprachlichen Stil zum Ausdruck kommt.

Reduce to the max

«Reduce to the max» – dieser Slogan aus einer Smart-Werbung von 1998 gehört zu Markus’ Maximen, die er immer dann vorbringt, wenn etwas ins Uferlose zu geraten scheint. Kommen wir dieser minimalistischen Maxime entsprechend nun also nicht vom Hundertsten ins Tausendste, unternehmen das Schwere, als wäre es leicht, und setzen einen Schlusspunkt mit den Worten der früheren SAGW-Präsidentin Anne-Claude Berthoud, die in einer Hommage an Markus folgende Gedanken zum Ausdruck bringt, denen es nichts mehr hinzuzufügen gibt:

«Par ton profond engagement, ton identification à l’Académie, tu as largement contribué à en faire une institution résolument moderne. Une Académie du XXIe siècle, assurément, regardant vers l’avenir tout en étant solidement ancrée dans l’histoire. Tu es un humaniste de la nouvelle génération incarnant une nouvelle façon de penser la science dans la société. Et c’est surtout à cet esprit de convivialité, de connivence et d’amitié que tu as su insuffler que je voudrais rendre hommage, à l’heure où tu quittes cette grande Maison que d’autres auront à inventer pour demain.»