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Kunst der Revolution oder Revolutionskunst: Sozialer Wandel des Iran seit der Revolution 1979 im Spiegel der zeitgenössischen Kunst

Instagram hat sich seit der Bewegung «Jin, Jiyan, Azadi», Frau, Leben, Freiheit, zu einem bedeutenden Katalysator für Kunstwerke entwickelt. Um aber zu verstehen, wie sich die Ausdrucksformen der Protestkunst im Iran gewandelt haben, lohnt es sich, Themen und Motive zur Zeit der Revolution von 1979 mit jenen der aktuellen Oppositionsbewegung gegenüberzustellen.

Von Elika Djalili

Nur Stunden nach dem Helikopterabsturz des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi im Mai 2024 begannen in den sozialen Medien Bilder zu zirkulieren, die dieses Ereignis thematisierten. Eines dieser Bilder, ein Cartoon, zeigt den abstürzenden Helikopter vor dem Hintergrund der grün-weiss-roten Flagge Irans, deren Farben für den schiitischen Islam, Frieden und Patriotismus stehen. Seit der Gründung der Islamischen Republik symbolisiert Rot zudem den Märtyrerstatus. Präsident Raisi erhielt, nicht überraschend, nach seinem Tod den Ehrentitel "Märtyrer-Raisi", Shahid Raisi, zugesprochen. Dieser bezieht sich darauf, dass er während der Ausübung seines Amts ums Leben kam, wodurch sein Tod mit dem jener Kämpfer gleichgesetzt wird, die ihr Leben im Namen des Glaubens opfern. Die Illustration des abstürzenden Helikopters auf der iranischen Fahne drückt jedoch weniger Trauer über den Unfall aus, bei dem der Präsident ums Leben kam, als eine ironische Freude über den Tod eines Diktators, der schon als Staatsanwalt während Jahrzehnten für das Schicksal vieler politischer Gefangener verantwortlich gewesen war. 

Instagram als Plattform pointiert-subversiver Kunstwerke 

Heutzutage verbreiten sich Nachrichten oft zusammen mit einer Vielzahl visueller Botschaften wie Fotos oder digitalen Illustrationen. Instagram ist besonders im Iran eine der am weitest verbreiteten Plattformen. Sie gilt bei Millionen Userinnen und Usern als das beliebteste soziale Medium und wird auch für kommerzielle Zwecke genutzt. Einer der Gründe für die Beliebtheit von Instagram ist die Tatsache, dass diese Plattform, im Gegensatz zu Facebook, Twitter und YouTube sowie ausländischen Newsseiten, ohne VPN - virtual private network - frei zugänglich war. Wenn Webseiten vom Staat zensiert werden, kann eine VPN-Software helfen, diese Sperren zu umgehen. VPNs sind in grosser Zahl verfügbar und ermöglichen es den Bürgerinnen und Bürgern, auf blockierte Seiten wie YouTube und weitere soziale Medien zuzugreifen.

Die Bewegung «Jin, Jiyan, Azadi», Frau, Leben, Freiheit, hat Instagram zu einer bedeutenden Plattform von Kunstwerken gemacht, in denen Nachrichten oder Schlagzeilen subversiv-pointiert verarbeitet werden - meist oft ohne viele Worte oder dann bloss mit minimalen Kommentaren. Dabei stechen besonders Darstellungen von Frauenhaaren hervor: Bilder von geflochtenen Haaren, zum Beispiel, die in einer Faust des Widerstands enden, oder Fotos und Illustrationen von protestierenden Frauen mit offenen, wehenden Haaren.

Die Bewegung Frau, Leben, Freiheit entstand nach dem Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini in Teheran im September 2022 und löste landesweite Proteste aus. Der Slogan «Frau, Leben, Freiheit» wurde zum Inbegriff wie zur Identität der Bewegung. Sie war die erste seit den Protesten von 2009, der sogenannten «Grünen Bewegung» gegen den wiedergewählten Präsidenten Mahmud Ahmadinejad, die minutiös auf den sozialen Medien dokumentiert wurde. Viele ihrer zentralen Akteurinnen und Akteure sind durch Handyaufnahmen, die von Mitprotestierenden gemacht wurden, als sie an Demonstrationen in gewaltsame Auseinandersetzungen mit Polizei und Streitkräften gerieten, weit über die Landesgrenzen hinaus bekannt geworden. Die meisten von ihnen gehören der Generation Z an, die im Iran für ihre visionäre, antiautoritäre aber auch für ihre extrem mutige Haltung bekannt ist. Diese jungen Menschen sind im digitalen Zeitalter aufgewachsen und haben über das Internet Einblick in den Alltag und die Lebensweisen von Gleichaltrigen in westlichen Ländern bekommen. Ihr grösster Wunsch ist individuelle Freiheit, besonders auch in der Wahl ihrer Kleidung. Gerade sehr junge Frauen bilden deshalb den Kern der Proteste. Viele sehnen sich danach, vom gesetzlich verordneten Kopftuchzwang befreit zu werden, der in der Iranischen Republik vorherrscht, um sich – wie andere Frauen weltweit - frei bewegen und ein Leben ohne persönliche Einschränkungen führen zu können. 

Der Anblick ihrer energiegeladenen Gesichter, die voller Hoffnung und Zuversicht auf eine Zukunft blicken, in der sie in Freiheit leben können, und von Frauen, die mit offenem Haar auf die Strasse gehen, wohlwissend, dass sie dabei ihr Leben riskieren, hat Menschen auf der ganzen Welt tief berührt. Im Iran selbst sind ihre Gesichter und Namen fest im kollektiven Gedächtnis verankert und haben Künstlerinnen und Künstler zu Werken inspiriert, die untrennbar mit den Protesten von 2022 verbunden sind. So wurde etwa das Foto von Jina Mahsa Amini zu einer Ikone von «Frau, Leben, Freiheit». Sie bringt zum Ausdruck, dass es ohne die Sicherheit und Freiheit von Frauen weder Leben noch Freiheit für die Gesellschaft als Ganzes geben wird. Insofern steht das Bild Jina Mahsas für den Anfang eines langen, schmerzhaften Weges, auf dem viele junge Frauen, und auch Männer, im Kampf um ihre Rechte ihr Leben verloren haben - und verlieren werden.

Protestkunst vor dem digitalen Zeitalter oder die Revolutionskunst von 1979 

Um zu verstehen, wie sich die Ausdrucksformen der Protestkunst im Iran gewandelt haben, lohnt sich ein Blick zurück in die Zeiten der Revolution von 1979: In den Monaten vor der Revolution, die geprägt waren von flächendeckenden Demonstrationen im ganzen Land, hielten regimekritische Künstlerinnen und Künstler die Ereignisse auf den Strassen in riesigen Malereien und Strassenbildern fest. Die Proteste und Demonstrationen nahmen an der Universität Teheran ihren Anfang und wurden von Studierenden und Professoren der Universität angeführt. Die protestierende Menge setzte sich jedoch aus verschiedenen politischen und ideologischen Strömungen zusammen: Neben den linksgerichteten Studierenden schlossen sich auch religiöse Oppositionelle, traditionelle Bazaris, Ladenbesitzer, sowie Intellektuelle und Künstler der Bewegung an. Sie verwendeten für ihre Dokumentationen einen narrativen Expressionismus, ein Stil, der typisch war für die damalige Zeit. Damit brachten sie ihre Haltung gegenüber der Repression und der mangelnden politischen Freiheit unter dem Shah-Regime zum Ausdruck. 

Einen bedeutenden Beitrag leistete Hanibal Alkhas (1930-2010), ein angesehener iranisch-assyrischer Künstler und Professor an der Fakultät der Schönen Künste der Universität Teheran. Er stand, wie viele Professoren und Intellektuelle, dem Shah-Regime kritisch gegenüber. Kurz vor dem Sturz des Schahs, ging Alkhas mit seinen Studierenden auf die Strassen, um Skizzen von den demonstrierenden Menschenmassen zu erstellen. Sie setzen diese Versuche in grossformatige Ölgemälde auf Leinwand um, die im November 1980, in der ersten Ausstellung nach der Revolution, zu sehen waren.

Um Richtlinien im Einklang mit der neuen Regierung zu entwickeln, waren viele staatliche Institutionen während der Revolution vorübergehend geschlossen worden. Zu den betroffenen Institutionen gehörten öffentliche Bildungsinstitutionen wie Schulen und Universitäten, einschliesslich des Museums für zeitgenössische Kunst, TMoCA. Als sich die Revolutionsregierung etabliert hatte, wurde das Museum wiedereröffnet, angepasst an die Werte der neuen Machthaber. 

Pikant war, dass das TMoCA, nur ein Jahr vor der Revolution eröffnet worden war. Dieses moderne Gebäude, das vom Architekten und Designer Kamran Diba entworfen wurde und auf die Architektur der iranischen Oasenstädte anspielt, sollte die erste Stätte für moderne und zeitgenössische Kunst im Iran sein. Kernstück hätte eine Kunstsammlung werden sollen, die unter der Schirmherrschaft Farah Pahlavis, der letzten Kaiserin Irans, zu Stande gekommen war. Mit dem Geld des Exportöls hatte sie in den 70er Jahren rund 1500 Werke der bedeutendsten zeitgenössischen amerikanischen und europäischen Künstlerinnen und Künstler gekauft und ein prestigeträchtiges Museum benötigt, um diese Werke auszustellen. Doch währte die Lebensdauer der Pahlavi-Dynastie nicht lange genug, um die Kunstwerke, die heute zu den wertvollsten der modernen europäischen und amerikanischen Malerei ausserhalb Europas gehören, auszustellen und der kunstfreudigen Bevölkerung Irans zugänglich zu machen. In den Augen der Revolutionäre galt westliche Kunst als dekadent und verpönt, vorrevolutionäre Kunst als «tyrannisch», tāghuti. Folglich wurde das Herstellen und Ausstellen westlicher Kunst im Iran verboten. Die Sammlung Farah Pahlavis wird bis heute in den Kellern des Museums aufbewahrt. 

Metaphern und Verschlüsselungen

«Protestkunst», Honar-e eʿterāzi, lautete der Titel der ersten Ausstellung nach der Wiedereröffnung des TMoCA. Sie wurde vom bekannten Grafiker Morteza Momayez (1936-2005) kuratiert und zeigte Poster, Fotografien und Wandmalereien. Momayez, der bereits vor dem Sturz des Schahs revolutionäre Poster ausgestellt hatte, schuf eine der bedeutendsten Metapher Irans: Er kombinierte das Zitat des Dichters ʿAref Qazvini (1882-1934) «Aus dem Blut der Jungen des Landes blühen Blumen» mit einer minimalistischen Darstellung einer Tulpe, die in einer Faust endet. Die Tulpe symbolisiert das Weiterleben der Person, die für ihren Glauben an die Freiheit ihr Leben verlor. Sie ist bis heute das Sinnbild der Märtyrer.

In den Werken der «Protestkunst» überwiegen figurative Darstellungen wütender, protestierender Menschenmassen, die grösstenteils den unteren gesellschaftlichen Schichten angehören. Männer, oft Bauern oder Arbeiter, dominieren diese Szenen, aber auch Frauen spielen eine Rolle. Im Zentrum der Ausstellung befinden sich Arbeiten von Hanibal Alkhas, allen voran sein grosses Gemälde «Der Horizont» (315 x 700 cm), in dem Menschen in Kampfhaltung im Mittelpunkt stehen. Einige halten Keulen oder Schaufeln in den Händen, eine Frau mit streng angezogenem Kopftuch trägt ein Gewehr. Die expressiv dargestellten Figuren haben ernste Gesichtszüge, ihre Gesten vermitteln Entschlossenheit. Im unteren Teil des Bildes sind Tote zu sehen, die vermutlich während der Auseinandersetzungen ums Leben gekommen waren. Die Personen in der Mitte heben sich stark von der protestierenden Masse im Hintergrund ab, sie betonen ihre Kampfbereitschaft. Eine dieser Figuren hält ein Transparent mit der Aufschrift «Die Unterdrückten und Hochmütigen können nicht zusammenfinden» in seinen Händen, eine berühmte Revolutionsparole von 1979. 

In einem weiteren Werk von Alkhas steht eine Frau vor einer Sonnenblume, die aus einem toten Körper herauswächst. Es ist eine bekannte ikonografische Darstellung, die auch der mexikanische Maler Diego Rivera in seinem Bild «The Blood of the Revolutionary Martyrs Fertilizing the Earth» verwendet hatte. Malereien, die während der Revolution in Mexiko in den 1920er Jahren, wie auch kurz zuvor während der russischen Revolution entstanden waren, wirkten für manche iranische Künstlerinnen und Künstler als Wegbereiter und Inspiration.

Die Ausstellung «Protestkunst» markierte einen entscheidenden Moment in der Entwicklung der iranischen Kunstszene nach der Revolution: In deren Rahmen wurde das Manifest «Revolutionskünstler» publiziert, das die politische Richtung des Museums festlegte. Es enthielt die Forderung, dass das Museum stets darum bemüht sein sollte, «Hohe Kunst», Honar-e nāb, frei von westlichen Werten zu fördern und auszustellen und sich von Tāquti-Tendenzen zu distanzierenDas Museum sollte also eine Plattform für Kunst schaffen, die sich von westlichen Einflüssen distanzierte und die hohe Kunst in den Dienst der Revolution und deren Ideale stellte. Es war eine Kunst, die einen narrativen Charakter hatte und sich in einem realistisch- expressivem Stil oder sich in Metaphern zeigte, wie etwa in der Tulpen-, oder der Sonnenblumensymbolik. Gerade die konzeptuelle oder auch verschlüsselte Kunst, wurde danach während zwei Jahrzehnten zunehmend im Iran verbreitet. Sie ist ideal dafür, Botschaften der Künstlerinnen und Künstler auf metaphorische oder verschlüsselte Weise zu vermitteln. So werden subversive Inhalte gegen die Regierung häufig in Form eines Konzepts präsentiert, das entschlüsselt werden muss. Aus diesem Grund sind private Galerien nicht nur bei Kunstinteressierten beliebt, sondern auch bei einer neugierigen und aufmerksamen Bevölkerungsgruppe, die in den ausgestellten Kunstwerken den Puls der Zeit spüren möchte. 

Das Mädchen der Enqelab-Strasse 

Im Vergleich zur Revolution von 1979 fehlt es der Grünen Bewegung von 2009 sowie «Frau, Leben, Freiheit» einer programmatischen künstlerischen Darstellung. Dies ist teilweise auf das digitale Zeitalter zurückzuführen, das eine einfache Vervielfältigung und schnelle Verbreitung von Bildern ermöglicht. Zudem spielen Kunst im öffentlichen Raum und aktivistische Performances eine immer wichtigere Rolle. So geschah etwa im Dezember 2017 Bemerkenswertes:  An der stark frequentierten Enqelab-Strasse in Teheran legte die Frauenrechtsaktivistin Vida Movahed ihr Kopftuch ab, band es an einen Stock, stieg auf einen Verteilerkasten und schwenkte den Stock mit dem Kopftuch minutenlang, bis Passanten sie aufforderten, sich das Kopftuch wieder anzuziehen. Diese Aktion der jungen Frau wurde als «Das Mädchen der Enqelab-Strasse» bekannt und entfachte ein grosses mediales Echo. Vida Movahed wurde kurz darauf verhaftet, doch inspirierte sie andere Frauen dazu, ihr Kopftuch ebenfalls abzulegen. Illustrationen ihrer aktivistischen Performance fanden in den sozialen Medien weite Verbreitung, sogar Männer unterstützten die Aktion, indem sie Vida Movahed nachahmten und Fotos von sich mit einem weissen Kopftuch an einem Stock posteten. Mittlerweile sind die elektrischen Verteilerkästen, die an jeder Strasse zu finden sind, per se zu Symbolen für den mutigen Akt Vida Movaheds geworden. Sie werden sogar zu Objekten aus Beton oder Keramik verarbeitet und als Souvenirs in Geschäften verkauft.

Strassen-, und performative Kunst haben auch im Zuge der «Frau, Leben, Freiheit»-Bewegung Hochkonjunktur. Ein interessantes Beispiel hierfür ist das Rotfärben von Wasserbecken in Teherans Stadtparks, was als Protest gegen die Unterdrückung und Gewalt während der Demonstrationen interpretiert werden kann. Diese Aktion wurde von einem unbekannten Künstler an verschiedenen Orten in Teheran durchgeführt und zog auch auf den sozialen Medien grosse Aufmerksamkeit auf sich. 

Da Protestaktionen auf den Strassen immer gefährlicher wurden und deshalb kaum mehr möglich sind, werden sie durch alternative Ausdrucksformen festgehalten. Besonders auffallend sind die Gesichter getöteter junger Menschen, die in vielen Städten des Landes als stempelartige Schablonen an den Strassenwänden prangen. Es sind von Porträts von Jina Mahsa Amini, aber etwa auch von Nika Shakarami und Sarina Esmailzadeh, die, beide 16-jährig, von Sicherheitskräften zu Tode geprügelt worden waren, oder von Kian Pirfalak, der erst neun Jahre alt war, als er bei Protesten in Izeh, einer Stadt im Südwesten Irans, erschossen wurde. Längst sind ihre Geschichten auch in der Diaspora bekannt, ihre Gesichter zu Ikonen der Bewegung geworden. 

Weg von der Mystifizierung und Glorifizierung einzelner Personen

Der Drang nach einer unmittelbaren Reaktion auf aktuelle Ereignisse und deren blitzschnelle Verbreitung über die sozialen Medien lassen diese künstlerischen Darstellungen im Vergleich zu den technisch aufwendig ausgeführten Malereien der Revolution von 1979 möglicherweise etwas oberflächlicher und weniger nachhaltig wirken. Das liegt daran, dass viele Werke, die in den sozialen Medien zu sehen sind, nicht ausschliesslich von professionellen Künstlerinnen und Künstlern stammen, sondern eher als Ausdruck des Schmerzes und der Verzweiflung vieler Menschen zu verstehen sind. Jede Bürgerin, jeder Bürger, kann künstlerisch tätig sein. Hinzu kommt, dass die Bewegung "Frau, Leben, Freiheit" bislang nicht zu einer Revolution oder einem Regimesturz geführt hat. Ein Vergleich mit der programmatischen Kunst an öffentlichen Institutionen wäre aus diesem Grund nicht zielführend.

Darüber hinaus zeigt sich in den aktuellen Werken eine Entwicklung weg von der Mystifizierung und Glorifizierung einzelner Personen. Im Gegensatz zu den Ereignissen 1979, wo oft Führer wie Ayatollah Khomeini oder Denker wie Ali Shariati (1933-1977), einer der einflussreichsten Intellektuellen am Vorabend der Revolution, prominent dargestellt wurden, heben die Kunstschaffenden heute keine Führungspersonen hervor, weder im Iran selber, noch in der iranischen Diaspora in Europa oder den USA. Diese Abkehr von Führungspersonen ist ein Indiz hierfür, dass die Proteste nicht mehr ideologisch, sondern von einer kollektiven Sehnsucht nach individuellen Freiheiten getrieben werden. Was jedoch nie aufgegeben wurde, ja sich sogar buchstäblich zugespitzt hat, ist die verschlüsselte Kunst, die sich nach der Revolution von 1979 im Iran verbreitete. Mittlerweile ist gerade die junge Bevölkerung so sensibilisiert, dass sie die auf sozialen Netzwerken kursierenden Illustrationen blitzschnell entschlüsseln und die darin versteckten Botschaften verstehen kann. Diese digitalen Miniaturen sind zu Metaphern der Unzufriedenheit mit dem herrschenden System geworden. Das Bild des abstürzenden Helikopters, der den Präsidenten Ebrahim Raisi an Bord hatte, erzählt in diesem Sinne von der Hoffnung vieler Menschen auf ein Ende der Herrschaft der geistlichen Elite.

Elika Djalili studierte Kunstgeschichte und Islamwissenschaften an der Universität Zürich und promovierte in islamischer Kunst. In ihrer Dissertation befasste sie sich mit dem kulturellen Austausch Ost-West auf dem Gebiet der iranischen Kunst, anhand der Orientalischen Sammlung von Henri Moser im Bernischen Historischen Museum. Seit 2018 ist sie Dozentin für Persisch an der Universität Bern. Sie unterrichtet mit Schwerpunkt iranische Gesellschaft, Kultur und Geschichte in der Moderne und Gegenwart. Als Lehrbeauftragte arbeitet sie an der Universität Zürich und Universität St. Gallen zu Themen mit Iran-Bezug. 

Weiterführende Literatur

Katajun Amirpour: Iran ohne Islam. Der Aufstand gegen den Gottesstaat. München, C.H.Beck, 2023. 

Shiva Balaghi und Lynn Gumpert (Hrsg.): Picturing Iran: Art Society and Revolution. London, I. B.Tauris, 2002. 

Hamid Keshmirshekan: The Art of Iran in the Twentieth and Twenty-first Centuries. Tracing the Modern and the Contemporary. Edinburgh, Edinburgh University Press, 2023. 

Firouzeh Saghafi: Mirrored Reflections: A Study of Transformations in Iranian Contemporary Art (1974-1984). Ausstellungsrezension in: Manazir Blog, 11.04.2022: https://www.manazir.art/blog/posts/review-mirrored-reflections-study-transformations-iranian-contemporary-art-1974-1984-firouzeh-saghafi.

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