Zusammenleben – wie Gemeinde und Städte vom generationenverbindenden Engagement der Zivilgesellschaft profitieren können

Bericht zur Tagung «Zusammen leben – Wie Städte und Gemeinden vom generationenverbindenden Engagement der Zivilgesellschaft profitieren können»

(lb) Um den Austausch zwischen Zivilgesellschaft und öffentlicher Hand rund um Generationenprojekte zu fördern, hat am 14. September 2016 eine Tagung rund um das intergenerationelle „Zusammen leben“ stattgefunden. Organisiert wurde der Anlass von der SAGW, vom Migros Kulturprozent und der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft. Zu den Partnern der Veranstaltung zählten der Schweizerische Städteverband, der Schweizerische Gemeindeverband sowie die Tripartite Agglomerationskonferenz.

Ziel der Tagung war es, anhand von konkreten Beispielen und diversen Experteninputs eine Übersicht von «best practice»-Projekten sowie Inspirationen für eine fruchtbare Zusammenarbeit zugunsten intergenerationeller Projekte zwischen Zivilgesellschaft und öffentlicher Hand anzubieten. Etwa 150 Personen aus der ganzen Schweiz – Projektleiter, Berater, Forscher und Angestellte aus Zivilgesellschaft und öffentlicher Hand – nahmen an der Tagung teil.

Tut man noch das «Richtige»?

Als Einstieg in den Tag hat Herr Professor Markus Freitag (Universität Bern) dem interessierten Publikum einige seiner Analysen und Überlegungen zum Thema Freiwilligenarbeit in der Schweiz präsentiert. Als Freiwilligenarbeit wird jegliche unbezahlte Aktivität bezeichnet, die eine dem eigenen Haushalt externe Person oder Organisation unterstützt und ein zeitliches oder finanzielles Engagement voraussetzt. Freiwilligenarbeit gehört daher zum Kern der Zivilgesellschaft, welche dank dem nichtbezahlten Engagement der Bürger existiert.
In der Schweiz neigt die Anzahl Stunden, die der Freiwilligenarbeit gewidmet wird, über die letzten 20 Jahre zu sinken. Diese Feststellung gilt vor allem, wenn man die Bevölkerung unter 35 Jahren betrachtet. In Sachen Freiwilligenarbeit lassen sich tatsächlich Unterschiede zwischen den Generationen beobachten: Die Kategorie der Jungen (15 bis 35 Jahre) zum Beispiel ist die Kategorie, in welcher der Anteil der freiwillig aktiven Personen am niedrigsten ist. Nichtsdestotrotz zeigt diese Kategorie die grösste Bereitschaft auf, sich zukünftig freiwillig zu engagieren – mit dem Alter nimmt diese immer mehr ab. Die Kategorie der 15- bis 35-Jährigen misst den positiven Auswirkungen einer freiwilligen Tätigkeit auf persönliche, berufliche und fachliche Kompetenzen – und somit auf den Lebenslauf – mehr Bedeutung zu als die ältere Bevölkerung, die zu einem höheren Grade intrinsisch motiviert ist. Ebenfalls finden es junge Menschen wichtiger, für freiwillige Arbeit eine formelle Anerkennung zu bekommen, als die Altersgruppen über 35. Diese wünschen jedoch häufiger eine Gegenleistung, zum Beispiel in Form von Zeitgutschriften. Flexible Arbeitszeiten gelten über alle Alterskategorien hinweg als ein wichtiges Attraktivitätskriterium der Freiwilligenarbeit.

Im heutigen Kontext der Individualisierung ist es besonders wichtig, auf die Erwartungen und Motivationsgründe der verschiedenen Bevölkerungsgruppen einzugehen, um eine aktive Zivilgesellschaft zu fördern. Daher bieten sich Modelle, die auf Gegenseitigkeit beruhen, flexible Arbeitszeiten anbieten und den Freiwilligen ermöglichen, ihre Fähigkeiten weiter zu entwickeln, besonders an.

Markus Freitags Analysen führen nicht nur zu Überlegungen zur Rekrutierung von Freiwilligen, sondern haben ebenfalls Konsequenzen auf die Zusammenarbeit zwischen Zivilgesellschaft und öffentlicher Hand. Über diesen Aspekt sprachen Roland Guntern (Pro Senectute Kanton Aargau) und Simon Stocker (Stadtrat Schaffhausen) in der anschliessenden öffentlichen Diskussion. Dabei kamen sie zu einem Konsens: Um die Zivilgesellschaft zu unterstützen, sollte die öffentliche Hand Interesse zeigen und darüber hinaus geeignete institutionelle Strukturen kreieren – die Zivilgesellschaft ihrerseits muss sicherstellen, dass ihre Aktivitäten innovativ und dem aktuellen Kontext angepasst sind, um die Unterstützung der öffentlichen Hand zu gewinnen. Dies ist in einer Zeit sinkender Anzahl Stunden Freiwilligenarbeit und zunehmender Anzahl Unterstützungsgesuche besonders relevant.

Die vier Bereiche des «Zusammenlebens»
Mit Hilfe einer Postersession und von vier verschiedenen Workshops hat sich die Tagung spezifisch auf vier Aktivitätsfelder des «Zusammenlebens» konzentriert: gesellschaftliche Partizipation, neue Wohnformen, Nachbarschaftshilfe und soziale Integration.
Die Postersession beinhaltete 37 verschiedene Generationenprojekte und bot den Teilnehmern die Gelegenheit, sich auszutauschen und Networking zu betreiben. Alle Projekte sowie die Poster im PDF-Format finden sich auf der SAGW-Webseite.
Die Workshops ihrerseits thematisierten je ein oben genanntes Aktivitätsfeld und ermöglichten eine vertiefte, interaktive Diskussion rund um ein vorgestelltes Projekt. Dieses wurde von den Projektverantwortlichen präsentiert und von einem/einer projektexternen Kommentator/in in einen grösseren Zusammenhang gesetzt. Die Workshop-Berichte befinden sich ebenfalls auf der SAGW-Webseite.

Die Zauberformel
Nach bereichernden formellen und informellen Austauschmomenten fand eine Roundtablediskussion statt. Mit von der Partie waren Vertreter/innen der Zivilgesellschaft – Susanna Fassbind (KISS Zeitvorsorge) und Stefan Tittmann (OstSINN) – sowie der öffentlichen Hand – Renate Amstutz (Schweizerischer Städteverband) und Reto Lindegger (Schweizerischer Gemeindeverband). Gemeinsam unternahmen sie den Versuch, die Leitfragen der Tagung zu beantworten: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit die öffentliche Hand die Zivilgesellschaft unterstützen und somit ihr erhebliches Potenzial ausschöpfen kann? Laut den Teilnehmern des Roundtables besteht die Zauberformel aus einer Hauptzutat, nämlich dem offenen Dialog auf Augenhöhe. «Offen», denn die öffentliche Hand soll die Vorschläge der Zivilgesellschaft anhören, während diese die Anforderungen der Administration und die bereits vorhandenen Strukturen berücksichtigen sollte, und «auf Augenhöhe», weil die Trennung zwischen Zivilgesellschaft und öffentlicher Hand in einem Milizsystem wie demjenigen der Schweiz nicht immer klar ist und diese sich daher gemeinsam für ein gelungenes, harmonisches «Zusammen leben» einsetzen sollen. Dabei ist eine gemeinsame Sprache Schlüssel zum Erfolg. Zum Beispiel kann die Zivilgesellschaft die finanziellen Einsparungen aufzeigen, die ihre Projekte langfristig ermöglichen, während die öffentlichen Administrationen eine für Generationenprojekte zuständige Person ernennen können.

Als Fazit hält Markus Zürcher (SAGW) fest, dass wenn auch Zivilgesellschaft und öffentliche Hand nicht immer die gleiche Logik verfolgen, doch die meisten Bürger in ihrem privaten, öffentlichen und wirtschaftlichen Leben drei Hauptanliegen teilen: soziale Beziehungen pflegen, Familie und Beruf vereinbaren und so lange wie möglich selbstständig leben können. Zivilgesellschaft und öffentliche Hand sollten sich daher auf diese gemeinsamen Nenner des «Zusammenlebens» orientieren und einigen können. Dies bezeugen bereits zahl- und erfolgreiche Generationenprojekte, welche durch gelungene Kooperationen entstanden sind.