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Das frei verfügbare Einkommen älterer Menschen in der Schweiz

Johanna Leitner, Nora Meuli, Riccardo Pardini, Carlo Knöpfel (FHNW)

Eine vergleichende Studie unter Berücksichtigung des Pflege- und Betreuungsbedarfs zeigt, dass die finanzielle Situation im Alter unter anderm vom Wohnort abhängt. Die Betreuung ist insbesondere zu Beginn des Fragilisierungsprozesses und für den Mittelstand eine finanzielle Belastung.

In der Schweiz haben grundsätzlich alle fragilen Menschen Zugang zu ambulanten und stationären Versorgungsnetzen, die Betreuung und Pflege anbieten. Diese Unterstützungsleistungen kosten viel und diese Kosten sind auf verschiedenen politischen Ebenen ein wiederkehrendes Thema. Auch für die unterstützten älteren Menschen können Betreuung und Pflege eine hohe finanzielle Belastung darstellen. In der Studie nehmen wir erstmals die finanzielle Perspektive von Rentnerinnen und Rentnern ein. Wir berechnen die selbstgetragenen Betreuungs- und Pflegekosten von verschiedenen Rentnerhaushalten in allen Kantonshauptorten und analysieren die Auswirkungen dieser Kosten auf die finanzielle Situation der älteren Menschen.

Berechnungsmodell aus Falltypen, finanzieller Situation und Ort

Wir haben neun Falltypen von älteren Menschen kreiert, die unterschiedlich viel Unterstützung benötigen. Sie leben entweder im Pflegeheim oder Zuhause. Diesen Falltypen wurden fünf verschiedene finanzielle Verhältnisse (Einkommen und Vermögen) zugeordnet. So konnten wir die unterschiedlichen Ausgangslagen in allen Kantonshauptorten für alle neuen Falltypen im Jahr 2018 analysieren: Für alle Kombinationen aus Falltyp, finanzieller Situation und Kantonshauptort berechneten wir die Betreuungs- und Pflegekosten, weitere Lebenshaltungskosten und die Sozialtransfers, auf die die Rentnerhaushalte Anspruch hatten. Im eigens entwickelten Berechnungsmodell eruierten wir daraus die frei verfügbaren Einkommen der Haushalte und simulierten damit ihre finanzielle Situation.

Ort ist entscheidend

Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass Rentnerinnen und Rentner bei exakt gleichen Ausgangsbedingungen je nach Kantonshauptort unterschiedlich viel Geld zur freien Verfügung haben. Das hängt mit den unterschiedlich hohen Lebenshaltungskosten in den Kantonshauptorten zusammen, ist aber vor allem das Resultat der vielen Regelungen im Gesundheits-, im Steuersystem und im System der sozialen Sicherheit, die sich von einem Kantonshauptort zum anderen unterscheiden.

Wesentlichen Ergebnisse der Studie

1. Die finanzielle Situation von Rentnerinnen und Rentnern hängt von ihrem Wohnort ab.

Trotz exakt gleicher Ausgangslage und Unterstützung im Alltag hängt die finanzielle Situation vom Wohnort ab. Das frei verfügbare Einkommen der untersuchten Falltypen unterscheidet sich massgeblich zwischen den Kantonshauptorten, und das für alle untersuchten Falltypen. Die grössten Unterschiede in den frei verfügbaren Einkommen zwischen den Kantonshauptorten finden sich bei Menschen im Pflegeheim. Dort betragen sie bis zu 40'000 Franken im berechneten Jahr.

2. Selbstgetragene Betreuungs- und Pflegekosten kommen Rentnerinnen und Rentner aus dem Mittelstand teuer zu stehen.

Die Ergänzungsleistungen übernehmen für tiefe und eher tiefe Einkommen und Vermögen einen Grossteil der Betreuungs- und Pflegekosten. Rentnerinnen und Rentner mit mittleren Einkommen und Vermögen tragen diese Kosten grösstenteils selber. Diese machen einen wesentlichen Posten im Haushaltsbudget aus.

3. Betreuungskosten sind für viele Rentnerinnen und Rentner eine grosse finanzielle Belastung.

Die selbstgetragenen Betreuungs- und Pflegekosten haben einen grossen Einfluss auf die frei verfügbaren Einkommen. Die Betreuungskosten fallen aber stärker ins Gewicht als die Pflegekosten. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Krankenkassen einen grossen Teil der Pflegekosten übernehmen, die Betreuungskosten bezahlen die Rentnerinnen und Rentner aber selber.

4. Der Beginn des Fragilisierungsprozesses, in dem Menschen viel Betreuung und wenig Pflege brauchen, ist für Rentnerinnen und Rentner teuer.

Zu Beginn des Fragilisierungsprozesses, wenn erste Hilfe- und Betreuungsleistungen benötigt werden, greifen einige Transfersysteme (Sozialtransfers und Steuersystem) noch nicht. Die Betroffenen haben dann den grössten Teil der Betreuungskosten selbst zu tragen. Mit dem Anspruch auf Hilflosenentschädigung, verbessert sich ihre wirtschaftliche Situation. Diese wird aber erst ausbezahlt, wenn jemand dauerhaft auf Unterstützung angewiesen ist.

5. Das System der sozialen Sicherheit für ältere Menschen in der Schweiz ist komplex.

Das System der sozialen Sicherheit und das Steuersystem sind nicht einfach zu verstehen. Diese Komplexität kann insbesondere für fragile Menschen und ihre Familienangehörigen eine Hürde darstellen, ihre Rechte einzufordern und Unterstützung zu erhalten.

Diese Komplexität ist Ausdruck eines föderalen Sozialstaates, in dem Leistungen des Bundes, der Kantone und der Kommunen ineinandergreifen. Die gestaltenden Akteure der Alterspolitik müssen sich bewusst sein, dass jeder Eingriff weitreichende Auswirkungen auf andere Bereiche haben kann. Mit dem Simulationsmodell können Systemänderungen nachvollzogen und beurteilt werden.

Weitere Informationen und Downloads unter www.einkommen-im-alter.ch