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Vernehmlassung zu den Entwürfen des Kulturförderungsgesetzes (KFG) und der Totalrevision des Pro Helvetia-Gesetzes

Stellungnahmen

Die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) wurde eingeladen, sich zu den Entwürfen des Kulturförderungsgesetzes (KFG) und der Totalrevision des Pro Helvetia-Gesetzes vernehmen zu lassen. 

 

Sehr geehrter Herr Dr. Raschèr


Die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) wurde mit Schreiben vom 15. Juni 2005 eingeladen, sich zu den Entwürfen des Kulturförderungsgesetzes (KFG) und der Totalrevision des Pro Helvetia-Gesetzes vernehmen zu lassen. Wir bedanken uns für diese Möglichkeit der Meinungsäusserung.

I. Grundsätzliches  
Die SAGW begrüsst den neuen Entwurf des KFG in weiten Teilen, weil das Gesetz in verschiedener Hinsicht zu einer erfreulichen Klarheit gelangt ist. Folgende Punkte, die unsere volle Unterstützung haben, heben wir hervor:

  1. Der Vernehmlassungsentwurf zum KFG weist die sich heute vielfach überschneidenden Aufgaben klarer den verantwortlichen Stellen zu.
  2. Er sieht Vierjahresprogramme für die staatliche Kulturförderung vor. Damit wird zuhanden des Parlamentes Transparenz geschaffen, wozu auch die Berichterstattung des Bundesrates über die Verwendung der Mittel dient. Wie aus dem Bereich Bildung, Forschung und Technologie bekannt, haben sich Schwerpunktbildungen bestens bewährt.
  3. Er regelt die Zusammenarbeit mit Kantonen, Städten und Gemeinden, die nach wie vor primär für die Kulturförderung zuständig sind.
  4. Er anerkennt die Rolle der Privaten und der kulturellen Organisationen in der Kulturförderung ausdrücklich und intensiviert ihre Zusammenarbeit mit dem Bund. Die Definition «kultureller Organisationen», wie sie aus Art. 15 hervorgeht, anerkennt den Wert intermediärer Organisationen und ihre vermittelnde Funktion zwischen Bund und Kantonen: «Der Bund kann gesamtschweizerisch tätige Organisationen von Kulturschaffenden und von kulturell tätigen Laien, deren Dachorganisationen sowie Dachorganisationen von Institutionen unterstützen, die im Bereich der Erhaltung des kulturellen Erbes oder der Kulturvermittlung tätig sind.» 
  5. Er macht aus dem Bereich der Kulturvermittlung mit  Art. 12  einen eigenen Förderbereich und räumt der Kulturvermittlung sowie der Bewahrung des kulturellen Erbes den gebührenden Platz ein. (Art. 1 Zweck des Gesetzes:  «Dieses Gesetz bezweckt, das Kunstschaffen, die Aus- und Weiterbildung im Bereich der Künste, den Zugang zur Kultur, den Kulturaustausch, die Kulturvermittlung  und die  Bewahrung des kulturellen Erbes  zu fördern, sowie die kulturelle Vielfalt und den Zusammenhalt der Schweiz zu stärken.») Unter «Bewahrung des kulturellen Erbes» wird erfreulicher-weise das gesamte Tätigkeitsfeld der «Sicherung, Inventarisierung, Erforschung und Vermittlung» berücksichtigt, womit von einem zeitgemässen Konzept der Kulturgütererhaltung ausgegangen wird.
  6. Er enthält eine offene Interpretation des Begriffes «Kulturgut», der nicht nur Kunstwerke, sondern alle Güter, die für Archäologie, Vorgeschichte, Geschichte, Literatur, Kunst oder Wissenschaft bedeutungsvoll sind, beinhaltet. Dazu gehören auch Archive, einschliesslich Ton-, Photo-, und Filmarchive. Gleichwohl heben wir hervor, dass auch dieser (materielle) Kulturbegriff an seine Grenzen stösst. Wir regen deshalb an, sich auf die UNESCO-Definition von 2003 zu berufen, die immaterielle Kulturgüter (wie Sprache) einschliesst.
  7. Er lagert die Frage der sozialen Sicherheit aus. Wir empfehlen jedoch dringend, diese innerhalb der geeigneten Gesetzgebung anzugehen.
  8. Der Vernehmlassungsentwurf zur Totalrevision des Pro Helvetia-Gesetzes weist Pro Helvetia neu als dritte Aufgabe die Kulturvermittlung (gemäss Art. 12  KFG) zu.

 

Allerdings ist es etwas problematisch, die Kulturvermittlung ausschliesslich der Pro Helvetia zuzuweisen. Diese ist mit zeitgenössischer Kulturförderung in einem engen, an den Sparten der Kunst orientierten Bereich beauftragt. Kulturvermittlung bedarf aber eines wesentlich breiteren, auch mit einer historisch Perspektive arbeitenden Ansatzes und eines umfassenderen Verständnisses von Kultur, wie es in anderen Bereichen des Gesetzes auch zum Tragen kommt, angefangen bei Lesen und Schreiben und fortgeführt über vielfältige Aktivitäten, in denen gerade auch Bildungsinstitutionen aller Stufen vom Vorschulalter bis zur Erwachsenenbildung eine wichtige Funktion haben. Wenn die Kulturvermittlung also der Pro Helvetia zugewiesen wird, so muss diese ihre gesamte Tätigkeit auf einen breiteren Kulturbegriff als bisher abstützen, oder aber die Vermittlungsaufgaben sind anderen Einheiten zuzuteilen oder klar aufzuteilen 

II. Vorschläge zur Überarbeitung  
Neben der grundsätzlich positiven Beurteilung des Entwurfs regen wir die Überarbeitung folgender einzelner Bestimmungen an:

  1. Als Organisation der Bildung und Forschung begrüssen wir einen weiten Kulturbegriff, der auch die enge Verbindung mit allen Bereichen der Gesellschaft, gerade der Bildung, deutlich macht. Eine Einschränkung auf «künstlerische Tätigkeit» oder «Kunstobjekt» kann nicht akzeptiert werden.
  2. Art. 1  verwendet den Begriff «Bewahrung des kulturellen Erbes», wogegen  Art. 10 und 15  von «Erhaltung des kulturellen Erbes» sprechen. Diese beiden Begriffe sind durch jenen der «Pflege» zu ersetzen.
  3. Art. 10  ergänzen: «Der Bund kann herausragende künstlerische Leistungen und herausragende Verdienste um den Zugang zur Kultur, um die Vermittlung, Erforschung und den Austausch von Kultur sowie um die Erhaltung und Erforschung des kulturellen Erbes auszeichnen.»
  4. Art. 14 : Der Begriff «Kulturgemeinschaften» ist höchst fragwürdig und sollte durch «kulturelle Gruppierungen» ersetzt werden sowie mit Kriterien zur Definition dieser «kulturellen Gruppierungen» ergänzt.
  5.  Art. 14 Abs. 2  sollte in  Art. 15  eingefügt werden.
  6.  Art. 16 Absatz 2  sieht vor, dass der Bund vor der Erarbeitung der Schwerpunktprogramme die Kantone, Städte und Gemeinden sowie «weitere interessierte Kreise» anhört. Diese Formulierung sollte präzisiert und mit dem Begriff «Kulturelle Organisationen» (gemäss Art. 15 ) ersetzt werden, um die Zusammenarbeit mit den Direktbetroffenen bei der Auswahl der Schwerpunkte zu garantieren.
  7. Art. 20 : Die Einführung der Gebührenpflicht für die Begründung einer anfechtbaren Verfügung sollte gestrichen werden.
  8. Art. 22  sollte den im Vorfeld geäusserten Erwartungen an eine Freizeit- oder Kulturstatistik unmissverständlich genügen.
  9. Die fast durchwegs benützten «kann»-Formulierungen sollte durch verbindlichere Formulierungen ersetzt werden, um die Kompetenzen von Bund und Kantone eindeutig zu regeln und um die Wirkungskraft des Gesetzes zu garantieren.
  10. Die bundesinternen und -externen Einrichtungen und Netzwerke von gesamtschweizerischem Interesse sollten in ihrem Anspruch auf Unterstützung durch den Bund gleichgestellt werden.
  11. Kulturschaffen und Kulturvermittlung sollten konsequent gleichgestellt werden.
  12. Der Bereich Musik sollte gemäss Verfassungsauftrag explizit im KFG erwähnt sein.
  13. Der Vernehmlassungsentwurf zur Totalrevision des Pro Helvetia-Gesetzes sollte Pro Helvetia grössere Unabhängigkeit gewähren, besonders bei der Wahl und den Kompetenzen des Stiftungsrates.
  14. Pro Helvetia und das BAK sollten zwei verschiedene Fachkommission erhalten. Der Vorschlag identischer Fachkommissionen – eingesetzt vom BAK – für Pro Helvetia und das BAK leuchtet nicht ein.

Wir danken Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Raschèr, für Ihre geschätzte Aufmerksamkeit und verbleiben mit freundlichen Grüssen

Prof. Dr. Anne-Claude Berthoud, Präsidentin 
Dr. Markus Zürcher, Generalsekretär