Die schulische Ganztagesbetreuung ist in der Schweiz ein viel diskutiertes Thema, sowohl in der Politik als auch in der Gesellschaft. Trotz ihrer zunehmenden Bedeutung ist die Verbreitung von Ganztagesschulen in den Kantonen und Gemeinden sehr unterschiedlich. Die Studie untersucht die Einstellungen von Eltern zu diesem Thema und liefert differenzierte Einblicke in regionale Unterschiede, Beweggründe und soziodemografische Faktoren. Die Studie bietet dadurch wichtige Anhaltspunkte für die Bildungspolitik und zeigt, wie vielfältig die Bedürfnisse und Erwartungen von Eltern in der Schweiz sind.
Die wichtigsten Ergebnisse:
Regionale Unterschiede
Die Studie basiert auf Daten von 2161 Eltern und zeigt, dass die Akzeptanz von Ganztagesschulen in der Schweiz regional unterschiedlich ausfällt. Es gibt zwar keine signifikanten regionalen Unterschiede, wenn Eltern nach ihrer allgemeinen Meinung zu Ganztagesschulen gefragt werden. Werden sie jedoch nach ihrem eigenen Bedarf gefragt, befürworten Eltern in französischsprachigen Gebieten Ganztagesbetreuung deutlich stärker als Eltern in der Deutschschweiz. Der Unterschied wird noch deutlicher, wenn es um konkrete Verpflichtungen geht: Eltern in der Romandie unterstützen häufiger verpflichtende Angebote wie Mittagessen in der Schule, während in der Deutschschweiz verpflichtende Massnahmen auf weniger Zustimmung stossen.
Soziodemografische Faktoren und Alter der Kinder
Regionsunabhängig steigt das Interesse an Ganztagesschulen mit höherem Einkommen und Bildungsniveau der Eltern. Besonders nicht-schweizerische Eltern zeigen eine stärkere Präferenz für solche Angebote. Auch das Alter der Kinder spielt eine Rolle. Eltern halten Ganztagesschulen eher geeignet für ältere Kinder als für jüngere.
Eltern in der Deutschschweiz betonen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf als Hauptgrund für ihre Unterstützung von Ganztagesschulen. In der Romandie ist dies ebenfalls ein wichtiger Faktor. Eltern in der Romandie legen aber auch deutlich stärkeren Wert auf ganzheitliche Angebote, die sowohl schulische als auch ausserschulische Aktivitäten umfassen. Hier bevorzugen Eltern Einrichtungen, die Sport- und Kulturprogramme anbieten und einen nahtlosen Übergang zwischen Betreuung und Freizeitgestaltung ermöglichen.
Einstellungen zu Geschlechterrollen und staatlicher Verantwortung
Die Analyse zeigt, dass individuelle Einstellungen zu Geschlechterrollen und zur Rolle des Staates die Meinungen zu Ganztagesschulen wesentlich beeinflussen. In der Deutschschweiz wird die Rolle der Mutter in der Kindererziehung stärker betont, während Eltern in der Romandie eine grössere Verantwortung des Staates für die Kinderbetreuung sehen.
Zu den Autor·innen
Laura Bernardi ist ordentliche Professorin für Lebenslaufdemografie und Soziologie an der Universität Lausanne. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Fertilität, Familiendynamik, soziale Interaktion und Lebensverlaufsstudien. Seit 2021 ist sie Vizepräsidentin des Forschungsrats des Schweizerischen Nationalfonds und Präsidentin der Abteilung Sozial- und Geisteswissenschaften.
Marieke Heers hat an der Universität Maastricht in Bildungsökonomie promoviert und war als Postdoktorandin am Institut national d'études démographiques (INED) in Paris tätig. Als Leiterin der Datenarchivierungsdienste bei FORS ist sie auf die Verwaltung, gemeinsame Nutzung und Wiederverwendung von sozialwissenschaftlichen Forschungsdaten spezialisiert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Bildung und Migration.
Cédric Duchêne ist promovierter Soziologe, der an mehreren Schweizer Universitäten geforscht und gelehrt hat, zuletzt an der Universität Lausanne und an der Fachhochschule Westschweiz. Er hat wissenschaftliche Studien zu verschiedenen sozialen Phänomenen durchgeführt. Seit 2024 ist er Direktor des Centre de Formation transition école métier (CF TEM) der Stiftung Verdeil in Yverdon.
Bibliografische Angaben und Open Access
Duchêne, Cédric, Marieke Heers and Laura Bernardi (2025): All-day childcare and schooling. A survey of parental attitudes in Switzerland, ed. by the Swiss Academy of Humanities and Social Sciences (Swiss Academies Reports 20,1). https://doi.org/10.5281/zenodo.14283689
Die Publikation kann hier als Printversion bestellt werden.
Die Publikation ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz – CC BY 4.0. Seine Inhalte dürfen demnach uneingeschränkt und in allen Formen genutzt, geteilt und wiedergegeben werden, solange der Urheber und die Quelle angemessen angegeben werden. Das Verwertungsrecht bleibt beim Autor. Er gewährt Dritten das Recht, den Text gemäss der Creative-Commons-Lizenzvereinbarung zu verwenden, zu reproduzieren und weiterzugeben.