Bericht zur Veranstaltung «Third Mission»

Third Mission der Hochschulen: Societal Impact in den Geistes- und Sozialwissenschaften

Dr. Heinz Nauer

In Ländern wie England oder den Niederlanden hat die Frage nach der gesellschaftlichen Wirksamkeit von Forschung in den letzten Jahrzehnten den wissenschaftlichen Alltag geradezu neu geformt. Bisweilen begleiten aufwendige, multimedial aufbereitete Impact Stories die Forschung und nehmen die erfolgreiche Anwendung, die Nützlichkeit und also den Erfolg der eigenen Ergebnisse gegenüber den Förderinstitutionen in mitunter bestens inszenierter Selbstvermarktung vorweg.

In der Schweiz gehört das Schlagwort «Societal Impact» nicht zum Standardvokabular der Forschungsförderung. Gleichwohl sind die Schweizer Hochschulen mit der Forderung nach gesellschaftlich wirksamer, möglichst anwendbarer und also nützlicher Forschung konfrontiert und verfolgen längst schon eine dreigeteilte Mission: Zu den klassischen Bereichen Forschung («First Mission») und Lehre («Second Mission») tritt als «dritte Mission» der Wissenstransfer in die Gesellschaft und der gezielte Austausch mit ausserakademischen Stakeholdern.

Eine Veranstaltung der SAGW, die am 24. Mai im Rahmen ihrer Jahresversammlung stattfand, stellte diese dritte Mission und den Societal Impact zur Diskussion. Fünf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus den Musikwissenschaften, der Linguistik, der Politologie, der Volkskunde und der der Geschichte lieferten an der Veranstaltung Fallbeispiele aus ihrer Praxis für gelungenen Austausch mit der Gesellschaft.

Impact: ein vager Begriff

Der Impact-Begriff stiess bei mehreren Beitragenden auf grundsätzliche Skepsis. Bernhard Tschofen fragte sich, ob es sich dabei nicht um einen «neoliberalen Wiedergänger» von etwas handle, das man früher unter «soziale Verantwortung» fasste. André Holenstein betonte, dass der Anspruch an die Nützlichkeit der Forschung schon seit der Aufklärung mit ihren utilitaristischen Strömungen bestehe, welche die Figuren des Experten und des öffentlichen Intellektuellen hervorbrachte. Ein breiter Konsens herrschte darüber, eher von gesellschaftlicher Relevanz geistes- und sozialwissenschaftlicher Forschung denn von Societal Impact zu sprechen. Die Skepsis ist auch der Vagheit des Impact-Begriffs geschuldet. Ist damit Wirkung von Forschung in die Gesellschaft («impact on society») gemeint? Oder eher ein stärkerer Austausch mit der Gesellschaft («relation to society»)? Und erreichen Hochschullehrer den grössten «Impact» nicht gerade durch eine ihrer ureigensten Tätigkeiten, nämlich indem sie zur Ausbildung von jungen Menschen zu kritischen Bürgern beitragen? 

Diversifizierung von Karriereprofilen

In der Schweiz lassen sich mit dem Impact-Schlagwort ohnehin (noch) keine akademischen Karrieren bauen. Ein breiter Konsens, so zeigte die Diskussion, herrschte darüber, dass die Geistes- und Sozialwissenschaften sich für eine Vielfalt der Kriterien für gute Forschung einsetzen und eigene, qualitative Kriterien zur Erfassung ihrer gesellschaftlichen Wirksamkeit und Relevanz formulieren müssen. Eine solche Evaluation sollte, so fasste Michael Ochsner zusammen, unter anderem

  • den Output im Bereich Wissenstransfer stärker gewichten
  • Interdisziplinarität nicht bestrafen
  • Erfahrungen ausserhalb des engeren akademischen Betriebs stärker valorisieren

Die Karrierewege würden so durchlässiger, vielfältiger und weniger stromlinienförmig. Es würde sich auch für die Nachwuchsforscherin lohnen, die eigene Arbeit konsequent auch auf die gesellschaftliche Relevanz hin zu befragen, ohne eine Disziplinierung eines auf Quantifizierung setzenden Evaluationssystems befürchten zu müssen. Und der Grundlagenforscher, der beispielsweise akribisch-philologisch an einer Edition arbeitet, dürfte weiterhin darauf verzichten, in Projektanträgen verschlungene, noch nicht absehbare Pfade in die gesellschaftliche Wirksamkeit seiner Forschung zu skizzieren.

Mission Evaluation

Michael Ochsner beleuchtete Societal Impact als Gegenstand der Forschungsevaluation im internationalen Kontext. Auf Basis der Evaluationsforschung äusserte er sich unter anderem kritisch gegenüber strategischen Versprechen im Evaluationsprozess: «Don’t praise solutions that you cannot provide just to get funding.» Und: Die Geistes- und Sozialwissenschaften seien auch dazu da, den Menschen das zu vermitteln, was nicht voraussehbar war.

Research is not about knowledge, it is about questioning it!
Gottfried Schatz, 2016

Mission Musik

«Wie klingt zum Beispiel Bern?», fragte die Musikwissenschaftlerin Cristina Urchueguía. Ihre Disziplin habe sich in den letzten Jahrzehnten zu einem Strauss an musikforschenden Disziplinen erweitert, sagte sie. Es stehe nicht mehr primär das musikalische Kunstwerk und deren Bewertung im Vordergrund, sondern die Rezeption von Musik und Phänomene der Interaktion mittels Musik. Die Sound Studies etwa seien für raumplanerische Fragen sehr relevant, weil sie danach fragen, wie Menschen den Raum und seine Geräusche wahrnehmen.

Mission Kultur

«Third Mission, societal impact – auch das noch?», fragte Bernhard Tschofen in seinem Beitrag unter dem Titel «Mit dem Wolf ins Bundeshaus». Er erzählte, wie das vom Nationalfonds geförderte Forschungsprojekt «Wölfe: Wissen und Praxis» zu mehreren Ausstellungsprojekten führte und über diesen Weg in die politische Diskussion einfloss. Als Forschungsleistung finde ein solches Engagement im Bereich des Wissenstransfers indes wenig Anerkennung, so Tschofen.

Mission Linguistik

Jacques Moeschler präsentierte unter dem Titel «To be or not to be Charlie» eine eine metalinguistische Analyse des Satzes «Je ne suis pas Charlie», der 2015 nach dem Attentat auf Charlie Hebdo in Paris als Umkehrung des Solidaritäts-Slogans «Je suis Charlie» kursierte. Er plädierte aus sprachwissenschaftlicher Sicht gegen eine vorschnelle Schwarz-Weiss-Rezeption von sprachlichen Phänomenen und also für ein besseres Verständnis ihrer vielfältigen Interpretationsspielräume. 

Si les savants font la même chose que les journalistes, ils n’auront plus de légitimite.
Christophe Prochasson

Mission Politik

Julie Bernath erzählte keine Erfolgsgeschichte, sondern thematisierte anhand ihrer Forschung zur Kriegsjustiz in Kambodscha Herausforderungen, die sich ergeben, wenn man vor Ort auf verschiedene Akteure mit ganz unterschiedlichen Interessen und Handlungsspielräumen trifft. Es bestehe stets ein Gefühl des Scheiterns, da man nie allen Bedürfnissen der unterschiedlichen Gruppen gerecht werden könne und dürfe, so Bernath. Auch verwies sie auf ein Machtgefälle zwischen einem westlichen akademischen Diskurs und Forscherkollegen und weiteren Akteuren in nicht-westlichen Kontexten, denen die mit ihrer Hilfe recherchierten Forschungsergebnisse letztlich gar nicht zugänglich seien.

Mission Geschichte

«Ist die Third Mission ein Privileg des Alters?» fragte André Holenstein. Er sprach über zwei Bücher zur Schweizer Geschichte: seine Monographie «Mitten in Europa», gezielt auf das Jahr 2015 hin terminiert, in dem in der Schweiz gleich mehreren historische Jubiläen begangen wurden, und die aus den fachhistorischen und geschichtspolitischen Debatten des Jubiläumsjahrs angeregte «Schweizer Migrationsgeschichte», die Holenstein 2018 zusammen mit Patrick Kury und Kristina Schulz veröffentlichte. Beide Bücher erhielten eine hohe Aufmerksamkeit und trugen sowohl in Fachkreisen als im politischen Diskurs zu alternativen Argumentationslinien bei.