Bildungsinstitutionen prägen alle Menschen von früher Kindheit an. Welche Schulen und Ausbildungen Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene besuchen, entscheidet mit, wie gut sie später in den Arbeitsmarkt integriert werden und welche gesellschaftlichen Aufstiegsmöglichkeiten sich ihnen bieten. Und nicht zuletzt sind die Bildungsinstitutionen bedeutsam für den sozialen Zusammenhalt in der Bevölkerung.
Mit Bildung ist auch ein Versprechen auf Chancengleichheit verbunden: Jedes Individuum, so das Credo, erhält dieselbe Chance, in der Schule erfolgreich zu sein und an den weiterführenden Bildungswegen teilzunehmen, unabhängig davon, ob jemand aus reichem oder armem Hause kommt, einen Migrationshintergrund hat oder nicht, oder in welchem Kanton man wohnt und in welcher Umgebung, in der Agglomeration, der Stadt oder auf dem Land, aufwächs.
Der Sammelband enthält 14 empirisch fundierte Beiträge
Die Disziplin der Soziologie fragt kritisch, unter welchen Bedingungen Schule und Bildung dieses Versprechen von Integration und Chancengleichheit einhalten können und wo und inwiefern das Bildungswesen auch zu Ungleichheit, Stigmatisierung und Ausgrenzung führt – und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet. Der Sammelband «Das Paradox von sozialer Integration und Ausschluss im Schweizer Bildungswesen» vertieft diese Fragen. Er enthält 14 Beiträge, die auf empirischen Studien basieren. Indem die Soziologie empirisch aufzeigt, wie unterschiedlich sich verschiedene Bildungssysteme auf die Integration und die Chancengleicheit auswirken, kann sie die Bildungspolitik massgeblich dabei unterstützen, gerechter zu werden, sagt die Co-Herausgeberin Regula Julia Leemann.
Indem die Soziologie empirisch aufzeigt, wie unterschiedlich sich verschiedene Bildungssysteme auf die Integration und die Chancengleicheit auswirken, kann sie die Bildungspolitik massgeblich dabei unterstützen, gerechter zu werden.
Regula Julia Leemann
Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze
In der Summe verweisen die Resultate auf die paradoxe Situation, dass das Bildungswesen mit seinen historisch gewachsenen Strukturen, seinen institutionalisierten Regeln und Werten und der für die Bildung zuständigen Politik und Profession sowohl Integration und sozialen Zusammenhalt fördert als auch Ausschluss und soziale Ungleichheit bewirkt.
Insbesondere für Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien und mit Migrationshintergrund ist die Bildungslaufbahn mit Hürden, Verzögerungen, Misserfolg und Ausschluss verbunden.
Elena Makarova
Die Ergebnisse zeigen, dass das Schweizer Bildungswesen einen grossen Teil der Jugendlichen nach der obligatorischen Ausbildung in eine weiterführende berufsbildende oder allgemeinbildende Ausbildung integriert, die gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt bietet. Doch bestehen soziale Ungleichheiten: «Insbesondere für Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien und mit Migrationshintergrund ist die Bildungslaufbahn mit Hürden, Verzögerungen, Misserfolg und Ausschluss verbunden», sagt Co-Herausgeberin Elena Makarova. «Dies gefährdet die längerfristige Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt.»
Mehrere Beiträge im Sammelband dokumentieren die beträchtlichen Unterschiede, die zwischen den kantonalen Bildungssystemen bestehen. Dies führt zu regionalen Ungleichheiten in der Integration und in den Bildungschancen. Wie gut der Integrationsauftrag in der Bildung gelingt, ist darüber hinaus auch von der pädagogischen Organisation der Schule, von den Überzeugungen der bildungspolitischen Akteur·innen und den Haltungen der Lehrprofession abhängig.
Hintergrund zur Publikation
Die Publikation ist Ergebnis einer Sektionstagung des Forschungsnetzwerks Bildungssoziologie der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie, die im Sommer 2022 an der Universität Basel stattfand und von der SAGW finanziell unterstützt wurde. Die Publikation richtet sich an die politischen Verantwortlichen in Bildungspolitik und Bildungsverwaltung, an Bildungsforschende sowie an Lehrende in Ausbildungsinstitutionen.
Zu den Herausgeberinnen
Regula Julia Leemann ist Soziologin, Professorin für Bildungssoziologie an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz und Dozentin am Institut für Bildungswissenschaften der Universität Basel. Ihre Forschungsgebiete sind unter anderem Governance von Bildung, Transformation von Bildungsinstitutionen, Bildungsungleichheiten sowie Soziologie der Konventionen.
Elena Makarova ist Erziehungswissenschaftlerin, Professorin für Bildungswissenschaften und Direktorin des Instituts für Bildungswissenschaften der Universität Basel. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören u.a. Heterogenität und Inklusion im schulischen Umfeld, gendersensible Berufsorientierung sowie Werte und Wertetransmission.
Die Herausgeberinnen stehen für Fragen gerne zur Verfügung.
Bestellen, bibliografische Angaben und Open Access
Leemann, Regula Julia und Elena Makarova (2023): Das Paradox von sozialer Integration und Ausschluss im Schweizer Bildungswesen. Beiträge der Soziologie (Swiss Academies Reports 18,1). https://doi.org/10.5281/zenodo.7469223
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