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Nachhaltige Transformation mit Happy End

Autoren: Urs Müller & David Koch (ZHAW) | Redaktion: Stella Noack (SAGW)
Nachhaltigkeit

Geschichten besitzen transformative Macht. Wollen wir nachhaltige Praktiken gesellschaftlich etablieren, müssen wir die Narrative ändern, die nicht nachhaltiges Handeln nahelegen. Warum haben es neue Narrative so schwer?

Narrative sind Hebel der Transformation

Donella Meadows wies 1997 in ihrem vielbeachteten Artikel «Leverage Points: Places to intervene in a system» darauf hin, dass einer der grössten Hebel, um unser nicht nachhaltiges System zu verändern, in den dominierenden kulturellen Paradigmen liegt, in unseren tiefsten Überzeugungen darüber also, wie die Welt funktioniert, was erstrebenswert ist und welche Problemlösungen in Betracht gezogen werden können.

Die grossen Paradigmen, welche Meadows anspricht, manifestieren sich in einer Vielzahl an Narrativen. Narrative sind die sozial geteilten, oft unausgesprochenen Denk- und Wahrnehmungsmuster in unseren Köpfen, welche wiederum das Fundament von Geschichten sind, mit denen wir uns die Welt erklären und nach denen wir sie handelnd formen. Sprachlichen Ausdruck finden Narrative in Sätzen wie «Wachstum ist gut» oder «Die Natur ist ein Vorrat an Ressourcen, der für menschliche Zwecke umgewandelt werden kann» oder «Neue Technologien führen aus der Klimakrise.»

Wenn wir nachhaltige Praktiken gesellschaftlich etablieren wollen, müssen wir die Paradigmen und Narrative ändern, die nicht nachhaltiges Handeln nahelegen und rechtfertigen.

Die Philosophin Antonietta Di Giulio und der Jurist Rico Defila haben 2022 Narrative herausgearbeitet, die den gesellschaftlichen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit behindern. Dazu gehört das Narrativ «Einschränkung der Marktfreiheit bedroht Lebensqualität». Es ist nicht schwer, sich eine packende Geschichte von fremden Richtern, wehrhaften Freiheitskämpfern, drohendem Unrecht und heldenhaftem Kampf gegen Unterjochung vorzustellen. Die Geschichte ist attraktiv, da das Freiheitsnarrativ verbreitet und äusserst emotional ist. Im «Kampf um Freiheit» steht ein grundlegender Wert auf dem Spiel, es geht «ums Prinzip». Im Gegensatz dazu fehlen ähnlich mächtige Narrative und Geschichten, die darauf verweisen, dass unsere Freiheit stärker von fehlenden Regulierungen als von fremden Vögten bedroht ist.

Soziale Objektivität erschwert die Konstruktion von neuen Narrativen

Wie kommen wir zu neuen Narrativen, die ein nachhaltiges Handeln motivieren? Narrative werden von Menschen produziert und reproduziert. Für Narrative gilt, was auf alle sozialen Strukturelemente zutrifft: Sie sind konstruiert, das heisst «menschengemacht». Als Konstrukte lassen sich Narrative grundsätzlich neu konstruieren. Wir alle sind es, die neue Geschichten erzählen können und müssen.

Der Haken dabei: Als Strukturelemente weisen Narrative aber eine gewisse soziale Objektivität auf. Sie sind zwar Konstrukte, haben sich aber dem direkten Einfluss einzelner Konstrukteure entzogen. Narrative wirken überindividuell, indem sie für ganze Gesellschaften und Kulturen zu nicht hinterfragten, tief in Praktiken verankerten Selbstverständlichkeiten geworden sind. Soziale Tatsachen existieren aber nur so lange, wie sie über das Denken, Sprechen und Handeln der Menschen reproduziert werden. Sowohl die Reproduktion wie auch die Neuproduktion der Narrative erfolgt durch Individuen. Deshalb ist es so wichtig, dass alternative Geschichten geschrieben und verbreitet werden. Projekte, die sich der Neuproduktion von Narrativen verschrieben haben, sind beispielsweise «Geschichten des Gelingens» oder «Stories for Future».

Neue Narrative stehen vor einem kommunikativen Dilemma

Die Erzählerinnen und Erzähler alternativer Geschichten stehen vor einem kommunikativen Dilemma. Wenn sie Menschen erreichen wollen, müssen sie deren Wertorientierungen ansprechen. Es finden vor allem jene Geschichten Anklang und Verbreitung, die das Publikum als bedeutsam und sinnstiftend erachtet. Was uns nichts bedeutet, lässt uns schlicht kalt. Und was zwar bedeutsam ist, aber unserem Selbstverständnis widerspricht, stösst aus Gründen der Selbsterhaltung auf Ablehnung. Entsprechend populär ist das Narrativ des «Grünen Wachstums», da es unser Selbstverständnis von materiellem Wachstum bestätigt und eine Verringerung der Umweltprobleme bei gleichzeitiger Verbesserung des Wohlstands verspricht. Dieses Narrativ ist anschlussfähig an unser gegenwärtiges Sein und Erleben und wirkt deshalb prinzipiell positiv. 

Ein wertorientiertes «Framing», das an den bestehenden Narrativen des Zielpublikums anknüpfen will, führt aber dazu, dass diese bestehenden – und problematischen – Narrative reproduziert werden. Während im Konsummarketing diese Reproduktion und Verstärkung problematischer Werte achtlos in Kauf genommen wird, kann sich die Nachhaltigkeitstransformation nicht auf diesen Teufelskreis einlassen.

Vielversprechende Narrative müssen aus Nischen heraustreten

In Nachhaltigkeitsnischen haben sich bereits einige Leitsätze ausgebildet, die zu vielversprechenden Narrativen werden könnten: «Besser statt mehr», «simplify your life», «entschleunigen und entschlacken», «nutzen statt besitzen». Solche Narrative motivieren ressourcenfreundlicheres Handeln, doch noch fehlt ihnen die Resonanz über die Nischen hinaus. Entscheidend für einen schnellen Durchbruch alternativer Narrative sind Gelegenheitsfenster, sogenannte «Windows of Opportunities». Das lässt sich aktuell in den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs auf unseren Umgang mit Energie beobachten. Das von der Gasindustrie über Jahrzehnte konstruierte und verbreitete Narrativ vom «klimafreundlichen Erdgas», vom «Partner der Erneuerbaren» oder der «Brückentechnologie» hat an Überzeugungskraft verloren. Alternative Narrative rund um erneuerbare Energien springen als sinnstiftende Deutungsmuster in die Bresche: Versorgungssicherheit, Energieunabhängigkeit, Frieden.

Fazit

Freilich ist die Geschichte der erneuerbaren Energien – wie auch der anderen nachhaltigkeitsrelevanten Problembereiche – noch weit von einem Happy End entfernt. Noch sind die dominanten Narrative von gefährdeten Arbeitsplätzen, drohenden Autoverboten, Stromlücken oder (kern-)technologischem Fortschritt tief verinnerlicht. Die Transformationsforschung steht weiterhin vor grossen Herausforderungen. Insbesondere, wenn wir nicht einfach auf weitere, durch Katastrophen eröffnete Gelegenheitsfenster warten wollen, sondern «Transformation by Design», einen gestalteten und vorausschauenden Wandel, anstreben.

Referenzen

Di Giulio, Antonietta und Defila, Rico (2022): Die Bedeutung von Narrativen für Umwelt und Nachhaltigkeit. Basel: Universität Basel. Doi: 10.5451/unibas-ep88066

Meadows, Donella (1999): Leverage points: places to intervene in a system. Hartland: The Sustainability Institute.

Zu den Autoren

Urs Müller ist Professor für Nachhaltigkeitstransformation am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der ZHAW und leitet die Forschungsgruppe Nachhaltigkeitskommunikation und Umweltbildung.

David Koch ist Linguist, Theaterregisseur und Geschichtenerzähler. Er arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Nachhaltigkeitskommunikation und Umweltbildung.

Open Access

Dies ist eine Open-Access-Publikation, lizenziert unter CreativeCommons CC BY-SA 4.0.

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