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Die iranischen Kaffeehäuser: Das Ringen um eine öffentliche Bühne

Kaffeehäuser sind heute ein fester Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. Als die Lokale im Mittleren Osten erstmals aufkamen, bildeten sich öffentliche Treffpunkte für neue Vergnügen – und damit einen umstrittenen Raum für politische Diskussionen.

Von Laura Peter

Die Cafés sind leergefegt, die Stühle hochgestellt, die Masken spiegeln sich in den dunklen Fensterscheiben. Es ist über ein Jahr her, seit sich das Coronavirus weltweit verbreitet hat. Die Fallzahlen in der Schweiz stagnieren auf hohem Niveau – und die Lockdowns mit den geschlossenen Lokalen gehören mittlerweile zu unserem Alltag. 

Damit verschwinden auch Räume für soziale Begegnungen: das Kaffeetrinken mit Menschen, die ins eigene Leben gehören. Die losen Kontakte zu Bekannten, die man nicht zu sich einlädt, aber gerne im ungezwungenen Rahmen trifft. Der Ort, an dem man für sich sein kann und doch in Gesellschaft.

Cafés sind heute so selbstverständlich Teil unserer Alltagskultur, dass vielen Menschen ihre soziale Bedeutung erst bewusst wurde, als sie wegfielen. Das Kaffeehaus, in dem man sich nicht nur zum Konsum, sondern auch zum gemeinsamen Austausch trifft, entstand im Mittleren Osten – rund 100 Jahre vor dessen Popularisierung in Europa. Die Atmosphäre von Musse und Geselligkeit ermöglichte es, den Kaffeegenuss mit neuen Freizeitaktivitäten zu verbinden. Das Trinken von Kaffee wurde zu einem öffentlichen Zeitvertreib und Kaffeehäuser zu Schauplätzen der gesellschaftlichen Interaktion.

Kaffeehäuser - Bühnen für die Manifestation des sozialen Status

Isfahan, Iran, unter der Herrschaft der Safawiden im späten 17. Jahrhundert: Bei Einbruch der Dunkelheit beleben die Mitglieder der Oberschicht den Tschahar Bagh, die populäre Promenade im Stadtzentrum. Auf den mit Platanen gesäumten Wegen, zwischen Teichen und Blumenbeeten, zeigen sie sich zu Pferd mit ihrer Gefolgschaft – versucht, sich gegenseitig in Opulenz zu überstrahlen. Der englische Reisende John Fryer vergleicht diese Ansammlungen mit dem englischen Hyde Park, ein Treiben «nur um zu sehen und gesehen zu werden, wenngleich unter dem Vorwand, frische Luft zu schnappen.»

Für diese Manifestation des sozialen Status bildeten die Kaffeehäuser entlang des Tschahar Bagh eine geeignete Bühne: Wasserbecken markierten den Treppenaufgang zu vorstehenden Plattformen, wo sich die Isfahaner niederliessen, um eine Tasse Kaffee zu trinken, «gemäss ihrem Stand und Tabak zu rauchen unter sich». Bemerkenswert ist auch, dass die Terrassen einmal pro Woche ausschliesslich Frauen als Treffpunkt zur Verfügung standen.

Kaffee war erstmals im Laufe des 15. Jahrhunderts im Jemen konsumiert worden, erlangte aber rasch überregionale Popularität. Von der jemenitischen Hafenstadt Mokka aus wurde das Getränk in das Osmanische Reich exportiert. Damit war Kaffee neben Tee die einzige stimulierende Substanz, die sich unabhängig von der europäischen Handelsexpansion des 16. und 17. Jahrhunderts über ihr ursprüngliches Anbaugebiet hinaus verbreitete.

Vom Osmanischen Reich gelangte der Kaffee in den safawidischen Iran. Verglichen mit dem Osmanischen Reich ist die Kultur der Kaffeehäuser unter den Safawiden bisher wenig erforscht, weshalb in diesem Text die Situation im Iran in den Blick genommen wird. 

Isfahan wurde das Zentrum einer blühenden Kaffeekultur

Die Safawiden, die zwischen 1501 und 1722 über das Gebiet des heutigen Irans herrschten, unterhielten durch Handel wie auch im Kontext kriegerischer Auseinandersetzungen enge Beziehungen zu den osmanischen Nachbarn. Ausserdem dürfte der Pilgerverkehr zwischen dem Iran und Mekka die Verbreitung des Kaffees gefördert haben. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts setzte er sich als alltägliches Getränk in den Städten des Irans durch. 

Eine besonders blühende Kaffeekultur entstand in Isfahan im Südwesten des Reichs, das der damalige Herrscher Schah Abbas I., der von 1588 bis 1629 regierte, zur Hauptstadt gemacht hatte. Konsumiert wurde der Kaffee nicht im privaten Rahmen, sondern stets in Gesellschaft. Dadurch entwickelte sich aus dem Kaffeehaus eine neue soziale Institution: Hier versammelten sich die Menschen, um Neuigkeiten auszutauschen oder um unterhalten zu werden. Während Besucher miteinander plauderten oder sich mit Brettspielen beschäftigten, erhoben sich Dichter, Derwische und Geistliche (die Mullahs), rezitierten Lyrik, trugen Epen und Predigten vor. Oft waren die Bänke in den Kaffeehäusern in Form eines Amphitheaters aufgestellt, so dass alle das Dargebotene verfolgen konnten. Erstmals entstand ein anerkannter öffentlicher Raum ausserhalb von Moscheen. 

In den zahlreichen Lokalen Isfahans wurde die Dichotomie zwischen Einladenden und Eingeladenen aufgehoben. Wollte etwa ein Gelehrter die führenden Literaten der Stadt treffen, war er nicht länger auf eine Einladung zu einer höfischen Versammlung oder einem privaten literarischen Salon, dem Majlis, angewiesen – er konnte einfach ein Kaffeehaus betreten. 

Subversive Atmosphäre

Kaffeehäuser erlaubten es also, jeden direkt anzusprechen und mit allen Gesprächen zu führen. Diese niederschwellige Gesprächskultur schuf auch einen neuen Raum für politische Diskussionen. Verschiedene europäische Reiseberichte verweisen auf eine subversive Atmosphäre in den Kaffeehäusern Isfahans: So beschreibt etwa Jean Chardin, ein französischer Forschungsreisender, die Institution als einen Ort, «an dem Politiker die Regierung frei und sorglos kritisieren, ohne dass sich diese darum kümmert».

Der Annahme, dass sich solche politischen Diskussionen der Sphäre königlicher Autorität entzogen, widerspricht allerdings Jean-Baptiste Tavernier, ebenfalls ein französischer Reisender:

Aber der grosse Cha-Abbas, der ein geistreicher Prinz war, erkannte, dass diese Räume (der Kaffeehäuser) gleichermassen Versammlungsorte waren, um politische Angelegenheiten zu besprechen, was diesem nicht gefiel (...)

Tatsächlich schien Schah Abbas I. das subversive Sprechen über Staatsangelegenheiten in den Kaffeehäusern widerstrebt zu haben. Bildeten die ersten Kaffeehäuser noch einen zentralen Bestandteil seiner umfangreichen Bauprogramme, verpflichtete er nun einen Mullah, «um den Verlauf der Intrigen zu durchbrechen, die darin entstehen.» Er wies diesen an, früh das Kaffeehaus aufzusuchen, den Gästen religiöse Predigten zu halten, Gedichte zu erzählen und sie anschliessend darauf hinzuweisen, dass es Zeit sei, zur Arbeit zu gehen. Solche Massnahmen zeigen, wie der Schah in der Möglichkeit einer kritischen Gesprächskultur eine ernsthafte Bedrohung für die staatliche Autorität sah.

Gleichzeitig nutzte auch er – wie die ṣafawidische Oberschicht – das Kaffeehaus als Schauplatz, um ein machtvolles Königtum zu inszenieren. Hierzu hält der russische Reisende Fedot Afanasiyev Kotov fest, dass der Schah die Kaffeehäuser regelmässig frequentierte:

Und hier auf dem Maidan, dem Hauptplatz von Isfahan, reitet der Schah fast jeden Tag aus, um sich zu vergnügen und die Kaffeehäuser zu besuchen (...) und hier amüsiert er sich Abende lang (...).

Diese Besuche dienten nicht ausschliesslich der Unterhaltung des Schahs, sondern unterstrichen seine Autorität im öffentlichen Raum der Stadt. Das Kaffeehaus bot dem Schah einen Rahmen, sich als sichtbaren, allgegenwärtigen Herrscher zu präsentieren, der auf Interaktion mit der Bevölkerung zielte, während er gleichzeitig die subversiven Dynamiken zu kontrollieren versuchte. In den letzten beiden Jahrzehnten seiner Herrschaft hingegen, erforderte die militärische und wirtschaftliche Staatsführung königliche Mobilität, weshalb solche Zurschaustellungen abnahmen.

Der Kaffeekonsum regt theologische Debatten an

Parallel dazu bemühten sich die religiösen Gelehrten zunehmend um die Kontrolle der Kaffeehäuser. In der islamischen Welt löste die Einführung des Kaffees eine rege theologische Debatte um dessen rechtlichen Status aus. Ein frühes Beispiel findet sich in Mekka: Dort wandte sich der Stadtvorsteher Khair Beg 1511 an die Religionsgelehrten der Stadt, nachdem er Männer und Frauen beim gemeinsamen Kaffeekonsum und Musizieren auf dem Gelände der Moschee erwischt hatte. Die Religionsgelehrten verurteilten solch heimliche Treffen, waren aber unsicher, ob Kaffeekonsum an sich als eine Form des Rausches zu kategorisieren sei. Würde ein Zustand erreicht werden, wo die Kontrolle über den Körper verloren ginge, wäre dieser ebenfalls abzulehnen. Von den Rechtsgelehrten der Azhar-Universität in Kairo kam alsbald der wegweisende Entscheid, dass Kaffeekonsum im Privaten kein Problem darstelle – es aber verboten sei, Kaffee in Versammlungen zu konsumieren. Das Urteil schien sich demnach nicht gegen das Getränk, sondern gegen Praktiken zu richten, die mit dessen Konsum einhergingen: Sie würden nach islamischem Recht als unangebracht gelten, etwa wenn Frauen und Männer gemeinsam Kaffee tranken. Obwohl Khair Beg ein Jahr später entlassen und der offene Konsum in der Stadt wieder erlaubt wurde, verdeutlicht diese Episode die Relevanz des sozialen Raumes, der mit dem Kaffeekonsum entstanden ist.

Solch religiös begründete Einschränkungen trafen auch die Kaffeehäuser in Isfahan. Sie waren eine Folge der Institutionalisierung religiöser Strukturen unter Schah Abbas I., die zum Ziel hatten, religiöse Strömungen der Zwölferschia entsprechend zu vereinheitlichen und damit den Einfluss konkurrierender religiöser Gruppen zu schwächen. Zwar wurde die Zwölferschia bereits von Schah Ismail im frühen 16. Jahrhundert als Staatsreligion proklamiert, aber erst unter Abbas I. in religiösen Ämtern und Autoritäten verankert. Dadurch wuchs der Einfluss der Religionsgelehrten – es wurde ihnen möglich, mit religiösen Begründungen gegen Kaffeehäuser vorzugehen.

Eine solche Kampagne richtete sich zum Beispiel gegen die Bedienung in Kaffeehäusern. Laut Chardin unterhielten georgische Jungen in lasziver Kleidung ihre männlichen Gäste: «Man führt sie vor, lässt sie tanzen und tausend unzüchtige Dinge sagen, um die Zuschauer zu erregen (…).» Chardin verstand die Kaffeehäuser als «wahrhaftige Horte der Sodomie, die sittsame und tugendhafte Menschen das Grauen lehrt.» Auch Muhammad Tahir Nasrabadi, ein prominenter Literat Isfahans, thematisiert die Existenz eines homoerotischen Milieus in Kaffeehäusern. Er schildert mehrere Anekdoten, in denen verschiedene Dichter sich zu den jugendlichen Kellnern hingezogen fühlten. Diese Praxis wurde dann im 17. Jahrhundert vom Grosswesir Kalifeh Soltan, einem Mitglied der religiösen Schicht und frommen Gelehrten, als unmoralisch aufgefasst und offiziell verboten.

Plattform für die öffentliche Darstellung von Frömmigkeit

Weiter missfiel den Safawiden die Rolle des Kaffeehauses als Versammlungsort für Mitglieder von Sufi-Orden. Sie sahen in den Sufi-Orden eine Gefahr für die eigene Macht, wozu auch entsprechende theologische Widerlegungsschriften beitrugen, in denen sich die Religionsgelehrten gegen sufistische Praktiken stellten. Das Kaffeehaus hingegen bot wandernden Derwischen und Geschichtenerzählern ein Forum für die Rezitation subversiver Poesie und epischer Erzählungen, welche die safawidische Ideologie unterliefen. Der vom Schah entsandte Mullah sollte also nicht nur anti-staatlichen Unruhen entgegenwirken, sondern die Besucher auch explizit mit der schiitischen Doktrin konfrontieren.

Kaffeehäuser wurden in religiöse Schulen eingegliedert und neu errichtete Kaffeehäuser auf der Isfahaner Stadtpromenade mit Koranversen versehen, wie der deutsche Reisende, Engelbert Kaempfer, festhält. Sie waren räumliche Zeugnisse einer expandieren religiösen Öffentlichkeit, welche die vorwiegend säkulare Institution des Kaffeehauses einband. Das Kaffeehaus, ein Raum für diverse Darbietungen und politische Diskussionen, wurde zu einer Plattform für die öffentliche Darstellung von Frömmigkeit.

Auch wenn davon auszugehen ist, dass die urbane, safawidische Oberschicht weiterhin Kaffee trank, ging als Konsequenz der staatlichen Massnahmen die Zahl der Kaffeehäuser zurück. Sie wurden in geringerem Masse frequentiert und zerfielen allmählich. Ihr Verschwinden bedeutete eine erhebliche Zerrüttung der öffentlichen Sphäre. Gleichzeitig besetzten die Kaffeetrinkenden neue Orte, wie wir aus den Berichten des holländischen Reisenden Cornelis de Bruyn wissen, der den Iran im frühen 18. Jahrhunderte besuchte. Er beschrieb, wie Männer und Frauen abends auf der Pol-e Chadschu, einer Brücke in Isfahan, zusammenfanden. Zum gemeinsamen Austausch tranken sie Kaffee, der unterhalb der Brücke zubereitet oder von wandernden Verkäufern angeboten wurde. An öffentlichen Orten, ausserhalb von Kaffeehäusern, existierte der Konsum weiter – genauso, wie sich in der Pandemiezeit die Menschen heute mit ihren Kaffeetassen auf der Strasse, im Wald oder über ihre Balkongeländer hinweg treffen.

Laura Peter studiert Religionswissenschaft und Geschichte der Neuzeit an der Universität Zürich. Ihre Interessensgebiete konzentrieren sich auf die Religionssoziologie, Gender und die MENA-Region. Bereits von ihr erschienen ist der Artikel «Restricted religion. Compliance, vicariousness, and authority during the Corona pandemic in Switzerland». Aktuell schreibt sie an ihrer Bachelorarbeit zur Praxis psychotraumatologischer Dienstleistungen für psychisch belastete geflüchtete Menschen und Asylsuchende.  

Dieser Artikel ist Teil eines Pilotprojektes für Wissenschaftskommunikation der SGMOIK. AkademikerInnen erhalten in diesem Rahmen journalistisches Mentoring beim Verfassen von Artikeln über Themen ihrer Forschung. 

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