Der Nachwuchspreis Gold geht an die Historiker Philipp Krauer und Bernhard C. Schär (Universität Lausanne), Silber gewinnt die Politologin Tabea Palmtag (Universität Zürich), Bronze der Rechtswissenschaftler Christapor Yacoubian (Universität Basel).
Philipp Krauer und Bernhard C. Schär beschäftigen sich mit Schweizer Söldnern im Dienst der niederländischen Kolonialarmee; Tabea Palmtag untersucht den Zusammenhang zwischen wirtschaftlichem Aufschwung und individueller Wohlfahrt, und Christapor Yacoubian geht der Frage nach, ob das Schweizer Haftungsrecht der digitalen Revolution gewachsen ist.
Die Schweizerische Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften (SAGW) zeichnet jedes Jahr drei herausragende wissenschaftliche Aufsätze von Forscherinnen und Forschern mit dem Nachwuchspreis aus («early career award»). Die zehnköpfige Jury wählt die Preisträgerinnen und Preisträger in einem dreistufigen Evaluationsverfahren aus. Die Gewinnerinnen und Gewinner erhalten insgesamt 18000 Franken.
Gold: Sozioökonomische Dimensionen der Kolonialgeschichte
Die Niederlande waren ab dem 17. Jahrhundert eine der bedeutendsten Kolonialmächte. Für ihre gewaltsamen Expansionen waren sie auf hunderttausende militärische Arbeitskräfte aus ganz Europa angewiesen. Die Aussicht auf eine lebenslange Pension half dabei, Söldner anzuwerben – auch in der Schweiz.
Die Jury des Nachwuchspreises zeichnet die Historiker Philipp Krauer und Bernhard C. Schär dafür aus, die «ökonomischen und wohlfahrtspolitischen Dimensionen der Kolonialarmeen herauszuarbeiten, welche bislang wenig erforscht worden sind».
Mit der Auszeichnung honoriert die Jury auch die umfangreiche Archivarbeit der Autoren. Anhand von Quellenmaterial aus 15 Archiven im In- und Ausland rekonstruieren sie, wie viel Geld aus den Kolonien in die Taschen Schweizer Söldner floss, wofür es gezahlt wurde, wie die Transaktionen abgewickelt wurden und wer davon profitierte.
Schweizer Söldner kehrten selten als reiche Männer in die Heimat zurück. Oft hinterliessen sie ihren Angehörigen im Todesfall kaum mehr als das, was ein Handwerker an zwei Arbeitstagen verdiente. Anrecht auf eine Pension hatte nur, wer zwischen zwölf und zwanzig Jahre in der niederländischen Kolonialarmee gedient hatte. Die Pensionsansprüche und Nachlassgelder wirkten sich unterschiedlich aus. In Einzelfällen ermöglichten sie Veteranen eine politische Karriere in der Heimat – etwa Louis Wyrsch, der 1848 im Verfassungsrat sass. In vielen anderen Fällen schützten die Zahlungen zumindest vor bitterster Armut.
Preisträger: Philipp Krauer und Bernhard C. Schär
Der Historiker Philipp Krauer wurde 2021 an der ETH Zürich promoviert. Er verfasste seine Doktorarbeit im SNF-Projekt «Swiss Tools of Empire. A transnational history of mercenaries in the Dutch East Indies, 1814-1914», das von Bernhard C. Schär geleitet wurde. Im Frühjahr 2024 erschien seine Dissertation «Swiss Mercenaries in the Dutch East Indies. A Transimperial History of Military Labour, 1848-1914». Er ist als Assoziierter Forscher in der SNF-Eccellenza-Forschungsgruppe «A Collaborative History of Global Switzerland» am Institut d'Études Politiques der Universität Lausanne tätig und arbeitet im Staatsarchiv des Kantons Schwyz.
Der Historiker Bernhard C. Schär ist seit 2022 SNF-Eccellenza-Professor an der Universität Lausanne. Am Institut für Politikwissenschaften leitet er eine internationale Forschungsgruppe zum Thema «Moral and economic entrepreneurship: a collaborative history of global Switzerland (1800-1900)». Aktuell ist die von ihm co-kuratierte Ausstellung «Widerstände. Vom Umgang mit Rassismus in Bern» im Bernischen Historischen Museum zu sehen. Bis 2021 war er als Oberassistent am Lehrstuhl für Geschichte der modernen Welt an der ETH Zürich tätig.
Krauer, Philipp und Schär C., Bernhard (2023): Welfare for War Veterans. How the Dutch Empire Provided for European Mercenary Families, c. 1850 to 1914, in: Itinerario 47,2, S. 223–239. https://doi.org/10.1017/S0165115323000141
Silber: Regionales Wirtschaftswachstum und subjektive Wohlfahrt
Die Politologin Tabea Palmtag wollte wissen, wer von wirtschaftlichem Aufschwung profitiert und wer nicht. Diese Frage untersuchte sie am Beispiel von Ländern der Subsahara.
In ihrer Studie kann sie belegen, dass kein direkter Zusammenhang zwischen der allgemeinen wirtschaftlichen Situation eines Landes und der wirtschaftlichen Zufriedenheit seiner Bewohnerinnen und Bewohner hergestellt werden kann. Individuelle Wohlfahrt wird ganz unterschiedlich beurteilt – auch und gerade in Regionen, wo die Wirtschaft floriert. Von guten lokalen Bedingungen profitieren vor allem Hochqualifizierte. Weniger gut qualifizierte Arbeitskräfte beschreiben ihr Wohlfahrtsniveau weiterhin als tief.
Palmtag nutzte Daten von nächtlichen Lichtemissionen, um die wirtschaftliche Aktivität von Regionen zu messen. Diese kombinierte sie mit geografisch codierten Umfrageergebnissen aus 36 Ländern. Darin geben die Befragten an, wie zufrieden sie mit ihrer wirtschaftlichen Situation sind.
Die Forschungsergebnisse verdeutlichen, wie wichtig eine lokal ausgerichtete Wirtschaftspolitik ist, um ein inklusives Wirtschaftswachstum zu ermöglichen und die soziale Kohäsion zu erhalten. Neben ihrer sozialpolitischen Relevanz überzeugte die Jury insbesondere der «innovative methodische Ansatz» der prämierten Forschungsarbeit.
Preisträgerin: Tabea Palmtag
Die Politikwissenschaftlerin Tabea Palmtag wurde 2020 an der Universität Zürich mit einer Dissertation zur politischen Ökonomie von Protesten promoviert. Seither arbeitet sie als Postdoktorandin im Rahmen des Universitären Forschungsschwerpunkts «Equality of Opportunity» und untersucht die Wahrnehmung und Politisierung von Ungleichheit. Mit Unterstützung eines UZH Postdoc Grants erforscht sie ausserdem die langfristigen Auswirkungen lokaler wirtschaftlicher und sozialer Bedingungen auf politische Einstellungen.
Palmtag, Tabea (2023): The unequal effect of economic development on perceived labor market risks and welfare, in: Political Science Research and Methods, published online 2023, S. 1–18. https://doi.org/10.1017/psrm.2023.47
Bronze: Das Schweizer Haftungsrecht in der digitalen Revolution
In einem Alterszentrum kollidiert ein Pflegeroboter mit einer Bewohnerin. Der Kunde einer Bank verliert Geld, weil ihn eine Künstliche Intelligenz in einer Anlagefrage falsch beraten hat. Können das Pflegeheim für den Unfall und die Bank für den Fehler ihres Beratungsalgorithmus’ belangt werden?
Der Rechtswissenschaftler Christapor Yacoubian wollte klären, ob Haftungslücken entstehen können, wenn eine Person oder ein Unternehmen zur Erfüllung eines Auftrags autonom arbeitende Computerprogramme oder Roboter einsetzt.
Dass Auftragnehmer sogenannte Erfüllungsgehilfen einsetzen, die stellvertretend eine Aufgabe ausführen, wird im Schweizer Haftungsrecht berücksichtigt. Als die Erfüllungsgehilfenhaftung eingeführt wurde, dachte man dabei jedoch an menschliche Hilfspersonen. In der Rechtswissenschaft ist man deshalb weitherum der Auffassung, das Schweizer Haftungsrecht müsse reformiert werden, um Haftungsschäden zu vermeiden, die von nicht-menschlichen Hilfssystemen verursacht werden. Yacoubian widerspricht dem. Er zeigt, dass es mit dem geltenden Gesetz vereinbar ist, Hilfssysteme wie Hilfspersonen zu behandeln. Durch diesen Analogieschluss – Hilfssysteme wie und nicht als Hilfspersonen zu betrachten – entstehen keine Haftungslücken.
Die Jury unterstreicht den starken Gegenwartsbezug von Yacoubians Arbeit: «Sie greift eine Frage auf, die für Gesellschaft und Wirtschaft hochaktuell und bisher nicht geklärt ist.» Ob das geltende Schweizer Recht der digitalen Revolution gewachsen ist, hat wirtschaftliche Folgen. Solange die Frage der Haftbarkeit ungeklärt ist, werden sich Roboter und KI-Systeme nicht auf dem Markt etablieren können. Yacoubians Forschung zeige damit auch, dass die «Geistes- und Sozialwissenschaften im Bereich der Digitalisierung einen relevanten Beitrag zur Lösung wichtiger Probleme leisten können», so die Jury.
Preisträger: Christapor Yacoubian
Der Rechtswissenschaftler Christapor Yacoubian verfasste den prämierten Aufsatz im Rahmen seines Doktoratsstudiums an der Universität Basel. Der Doktorgrad wurde ihm im Mai 2024 verliehen. Er promovierte zur Haftung des Vertragsschuldners beim Einsatz digitaler Systeme und befasste sich dabei mit der Frage, ob das geltende Haftungsrecht den digitalen Herausforderungen gewachsen ist.
151 Kandidaturen aus 25 Disziplinen
Das Interesse am Nachwuchspreis der SAGW wächst. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Anzahl Kandidaturen um 30 gültige Eingaben. Geschichte, Psychologie, Politologie, Rechtswissenschaften sowie interdisziplinäre Sozialwissenschaften waren mit jeweils 11 bis 17 Kandidaturen am stärksten vertreten. Die Kandidaturen repräsentieren 13 Universitäten und Fachhochschulen aus der Schweiz sowie weitere ausländische Universitäten und Institutionen. Das Verhältnis zwischen Bewerberinnen und Bewerbern war mit 53 Prozent zu 46 Prozent fast ausgeglichen. Drei der zwölf Finalistinnen und Finalisten hatten ihr Doktoratsstudium zum Zeitpunkt der Kandidatur noch nicht abgeschlossen.
Die Preisverleihung fand am 24. Mai 2024 im Rahmen der Jahresversammlung der SAGW in Genf statt.
Kontakt für Rückfragen und hochauflösende Bilder
Stella Noack
Co-Verantwortliche Wissenschaftskommunikation der SAGW
+41 31 306 92 50/54
stella.noack(at)sagw.ch